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„Das Schweigen ist mein Gebet“

Jürgen Domian über innere und äußere „Dämonen“, die Kraftquelle Stille und seine Position zu einem sehr heiklen Thema

Über zwei Jahrzehnte hat Jürgen Domian in seiner nächtlichen Sendung Gespräche mit unbekannten Anrufern geführt. Dabei ging es auch oft um das Thema Tod. In seinem neuen Roman „Dämonen“ beschließt die Hauptfigur Hansen, sich an seinem 60. Geburtstag am 21. Dezember das Leben zu nehmen. In Gütersloh spricht der Autor mit Sabine Kleyboldt über innere und äußere „Dämonen“, die Kraftquelle Stille und seine Position zu einem sehr heiklen Thema.

Herr Domian, die Übereinstimmungen mit der Hauptfigur „Hansen“ – von der christlichen Prägung, der kritischen Auseinandersetzung mit dem Glauben bis hin zum Geburtsdatum – sind deutlich. Wie viel „Domian“ steckt in „Hansen“?
Literatur spiegelt immer den Autor wider. Und so sind in die „Dämonen“ meine großen Lebensthemen eingeflossen: der Tod, die Stille, die Liebe, die Fragen nach Gott und dem Sinn. Und meine ganz persönliche Leidenschaft für Nordskandinavien hat sich in dem Buch auch niedergeschlagen. Aber keine Sorge, die Selbsttötung stand für mich noch nie zur Debatte. Selbst in den traurigsten Zeiten nicht.

Ihrem Buch haben Sie ein langes, eher deprimierendes Zitat aus der Bibel vorangestellt: der Tod als herbeigesehnter Freund, das Leben als Schall und Rauch. Wie programmatisch ist das für das Buch?
Das Zitat ist Ausdruck des Seelenzustandes der Hauptfigur Hansen. Es ist die Grundlage für seinen Entschluss, sich das Leben zu nehmen, obwohl er weder körperlich noch geistig erkrankt ist. Er will das Leben nicht mehr. Er stellt sich die Frage: Muss man leben, nur weil man lebt? Ich bin gespannt auf Reaktionen der Leser und meines Live-Publikums. Ich werde mit dem Buch ja auf eine große Lesetour durch ganz Deutschland gehen. Inszeniert übrigens von John von Düffel vom Deut-schen Theater Berlin.

Und wie sehen Sie das persönlich?
Für mich ist die Selbsttötung grundsätzlich moralisch legitim. Sie ist ein Privileg des Menschen. Allerdings muss man sehr genau in sich hineinschauen und sich selbst vielen Prüfungen stellen, bevor man diesen nicht umkehrbaren Schritt geht. Hansen zieht sich für Monate in die Stille Nordschwedens zurück. Dort fallen ihn die Dämonen seines Lebens an, er kämpft erbittert mit ihnen. Erst nach diesem Kampf weiß Hansen, ob der Tod oder das Leben sein Weg ist.

Hansens Schwedenreise wirkt in der Rückschau wie eine Pilgerfahrt nach innen, eine Reise zum wahren Ich. Trifft es das?
So kann man es sehen. Die Stille ist der Schlüssel zu allen Geheimnissen. In der Stille trifft Hansen sein wahres Selbst.

Man bekommt Sehnsucht nach Stille, Einsamkeit und Kontemplation – aber erst, nachdem Hansen sich seinen Dämonen gestellt hat. Haben Sie mit diesen Themen auch persönlich Erfahrungen gemacht?
Ja, ich habe schon oft freiwillig die Einsamkeit gesucht. Manchmal über Wochen. Meistens in Nordskandinavien. In diesen Zeiten bin ich ganz allein, keine Menschen, kein Handy, kein Internet. Ich mache dann nichts anderes als schlafen und wandern. Das ist wie Exerzitien halten. Das Schweigen ist mein Gebet.

Hansen führt eine intensive innere Auseinandersetzung mit großen Begriffen wie Lebenssinn, Gott, Religion, Glück, „Ich“, Verantwortung und so weiter. Fehlt das dem modernen Menschen, der permanent abgelenkt und beschäftigt scheint?
Wir leben im Zeitalter des Narzissmus und der Egozentrik. Es geht fast nur darum, sich selbst optimal auszuleben, in Szene zu setzen und sich permanent zu optimieren. Wenn man heute Begriffe benutzt wie Solidarität, Verzicht, Demut oder Selbstzurücknahme, erreicht man kaum jemanden. Man wird belächelt und erscheint verstaubt oder wie eine Gestalt von gestern. Dem Zeitgeist entspricht das alles überhaupt nicht. Zudem gibt es ein immer größer werdendes spirituelles Vakuum in unserer Gesellschaft.

In Ihrem Buch „Der Gedankenleser“ war es schließlich die Liebe, die die Hauptfigur „erlöste“. Welche Rolle spielt sie in Ihrem neuen Buch?
Liebe ist ein ebenso verfänglicher Begriff wie Gott. Was meint Liebe? Vielleicht ein die ganze Welt und alle Kreaturen umfassendes Wohlwollen. Ja, in diesem Sinne spielt sie auch in den Dämonen eine große Rolle.

Letztlich endet „Dämonen“ nach Art einer griechischen Tragödie. Wollen Sie dennoch Hoffnung machen und Freude am Leben vermitteln?
Ich will den Schluss nicht verraten. Aber er entspricht bei aller Traurigkeit meiner tiefen Überzeugung. Es gibt keine Weisheit und Hoffnung ohne den Schmerz.