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Das Geschenk weitergeben

Über den Predigttext zum 13. Sonntag nach Trinitatis: 1. Johannes 4, 7-12

Predigttext
7 Ihr Lieben, lasst uns einander lieb haben; denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist von Gott geboren und kennt Gott. 8 Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht; denn Gott ist die Liebe. 9 Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, dass Gott seinen eingebornen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn leben sollen. 10 Darin besteht die Liebe: nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsre Sünden. 11 Ihr Lieben, hat uns Gott so geliebt, so sollen wir uns auch untereinander lieben. 12 Niemand hat Gott jemals gesehen. Wenn wir uns untereinander lieben, so bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist in uns vollkommen.

Liebe Leserinnen und Leser, lasst uns einander lieb haben! So lautet die Aufforderung des Predigttextes. Ein Schelm, wer dabei an den ritualisierten Sprechtext aus so mancher Kindertageseinrichtung denkt, der vor dem Essen gemeinsam aufgesagt wird: „Piep, piep, piep, wir ham‘ uns alle lieb. Jeder esse, was er kann …“.
Offensichtlich hatten und haben sich aber eben nicht immer alle lieb. Sonst wäre die Aufforderung, einander lieb zu haben, wohl überflüssig gewesen. Es hatten sich weder die Christinnen und Christen der ersten Gemeinden immer lieb, noch haben wir Christinnen und Christen uns heutzutage ständig gern.

Immer nur Harmonie ist ungesund

Und ich denke, dass das auch nicht so sein muss. Jedenfalls nicht so, dass stets einer Wohlfühlatmosphäre der Vorrang gegeben wird. Wer den Anspruch hat, sich immer und überall gegenseitig lieb zu haben, der kann gegenläufige Emotionen bei anderen schnell übersehen. Es kann sehr ungesund sein, wenn man allein um der Harmonie willen keine Diskussionen aufkommen lässt. Das gilt für den privaten Bereich genauso wie für das Beziehungsgeflecht innerhalb einer Kirchengemeinde. Dafür sind wir Gemeindeglieder zu sehr Menschen mit unseren eigenen individuellen Erwartungen, Wünschen und Ansichten.
Meinungsverschiedenheiten treten beispielsweise dann zutage, wenn innerhalb einer Kirchengemeinde Veränderungen anstehen. Wenn also plötzlich das infrage gestellt wird, „was wir ja immer schon so gemacht haben“. Leider dauert es oft eine ganze Weile, bis sich etwas verändert. Manchmal wird erst dann gehandelt, wenn der äußere Druck zu groß geworden ist. Wenn etwa eine Pfarrstelle wegfällt oder Gebäude geschlossen werden müssen. Es kann sich aber lohnen, sich schon vorher über Veränderungen Gedanken zu machen und im Zweifel nicht vor Kontroversen zurückzuschrecken. Denn dann kann im Sinne des Evangeliums gestaltet werden. Dort, wo man zum Kern zurückfindet, können auch in schwierigen Zeiten erfrischende Wandlungen und Neuaufbrüche stattfinden.
Der Verfasser des ersten Johannesbriefs scheint sich nach einem friedvollen, von der Liebe geprägten Miteinander zu sehnen. Es wirkt so, als wolle er die mangelnde Liebe geradezu herbeireden: Der Abschnitt ist übervoll mit dem Wörtchen „Liebe“. Nirgends sonst ist in der Bibel so oft die Rede von der Liebe wie in diesem Kapitel.
Interessant ist dabei, in welcher Weise die Liebe zur Sprache kommt und was der Autor unter Liebe versteht. Die Liebe untereinander soll sich an der Liebe Gottes ausrichten. Es geht weniger um das, was wir Menschen unter Liebe verstehen oder missverstehen. Der Text ermuntert uns vielmehr dazu, auf Gott zu blicken. An ihm erkennen wir, was in Wahrheit Liebe ist. Sichtbar wird diese Liebe in seinem Sohn Jesus Christus und seiner Sendung in diese Welt hinein. Da sind seine Worte, da ist sein Verhalten und da ist am Ende seine Selbsthingabe am Kreuz. In seinem Sohn hat Gott sich uns aus Liebe und in Liebe zugewandt. Martin Luther hat es einmal so formuliert: „Wenn du Gott erkennen willst, dann musst du auf Christus schauen, da siehst du Gott mitten ins Herz und erkennst, dass es ein glühender Backofen der Liebe ist.“

Ein glühender Backofen der Liebe

Von Christus will ich mich anrühren und in Bewegung bringen lassen. Meine Liebe will ich an ihm festmachen. Weil Gott sich mir zugewandt hat, bin ich gerufen, mich selber auch anderen zuzuwenden. Mit meinen Worten, meinem Verhalten und meiner Hingabe. Manchmal gerade auch gegen Widerstände. In diesem Sinne will Liebe verstanden, gelebt und zugesprochen werden. Immer wieder. Auch wenn es ein hoher Anspruch ist.