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“Christopher Robin” – Ein Fest der Nostalgie

Wer die Zeichentrickfilme über “Pu, den Bären” geliebt hat, wird sicher auch den Spielfilm “Christopher Robin” mögen. Der Film richtet sich fast mehr an Erwachsene als an Kinder.

In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen TV-Filmen:

Fantasy-Drama von 2018 über Christopher Robin, den Jungen aus A.A. Milnes Kinderbuchklassiker “Pu der Bär”, das dessen Schicksal als Erwachsener fortspinnt: Zusammen mit seiner Kindlichkeit hat Christopher als Heranwachsender auch seine Unbeschwertheit und den Kontakt zu Pu und seinen Freunden aus dem “Hundert-Morgen-Wald” verloren.

Der erwachsene Christopher Robin (gespielt von Ewan McGregor) sieht in seinem auf Effizienz getrimmten Alltag den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr, vernachlässigt seine Liebsten, belastet seine kleine Tochter seinerseits durch zu viel Leistungsdruck.

Doch Hilfe naht! Pu, Ferkel, der Esel I-Aah (im Film animiert als knuffige Stofftiere) und und seine anderen tierischen Freunde aus dem “Hundert Morgen Wald” haben Christopher nicht vergessen und sorgen dafür, dass er durch die Wiederbegegnung mit ihnen den Kopf zurecht gerückt bekommt und erkennt, was wirklich wichtig ist im Leben.

Der Film entfaltet sich als vergnüglicher Clash zwischen effizienzgesteuerter Erwachsenenwelt und Pu und seinen Freunden als Repräsentanten kindlicher Fantasie; dabei schlägt die Inszenierung einen latent melancholischen Tonfall an, der den Film fast eher zum Nostalgie-Fest für Erwachsene denn zum Kinder-Spaß prädestiniert.

Nach “Paddington” ist der zweite große Bär der britischen Kinderbuchliteratur an der Reihe, als Filmfigur wiederentdeckt zu werden. Schon 2017 kreiste Simon Curtis’ “Goodbye, Christopher Robin” um A.A. Milnes “Pu, der Bär” (1926) – allerdings nicht als Verfilmung, sondern als Filmbiografie über den Autor und die schillernde Beziehung zu seinem Sohn Christopher Robin. Dessen Kuscheltiere lieferten dem Vater die Idee für seinen Bestseller, und auch er selbst mischte in fiktionalisierter Form als Protagonist in den Geschichten mit.

In Marc Forsters Disney-Film “Christopher Robin” von 2018 sind Pu, Ferkel, der Esel I-Aah und Co. nun keine Ausgeburten kindlicher Spiele beziehungsweise des Hirns eines schriftstellernden Vaters, sondern echt. Gleich zu Beginn kommen die kauzigen Gesellen (die passend zu ihren literarischen Wurzeln als Kuscheltiere animiert sind) im Hundert-Morgen-Wald zusammen, um ein ernstes Ereignis zu zelebrieren: Ihr Gefährte Christopher Robin muss sich von ihnen verabschieden; seine Kindertage neigen sich dem Ende zu, und der Umzug in ein Internat steht bevor.

Natürlich verspricht Christopher seinem Freund Pu, ihn nie zu vergessen – und natürlich wird er dieses Versprechen brechen. Im Zeitraffer diszipliniert ihn die Schule und traumatisiert ihn der Militärdienst. Danach findet er zunächst neues Lebensglück mit Ehefrau und Tochter, wird aber bald von der Arbeit absorbiert – womit der Film in seiner Erzählgegenwart und bei seinem zentralen Konflikt angekommen ist: Der erwachsene Christopher Robin sieht in seinem auf Effizienz getrimmten Alltag den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr – und muss erst wieder zurückfinden in den Hundert-Morgen-Wald, um zu erkennen, was wirklich wichtig für ihn ist.

Wie schon in seinem Porträt eines anderen Kinderbuch-Autoren – “Wenn Träume fliegen lernen” (2004) um “Peter Pan”-Erfinder J.M. Barrie – beschwört Forster auch hier die kindliche Fantasie als Korrektiv für die Entfremdungen des Erwachsenenlebens. Eines Tages taucht Pu bei Christopher auf und nötigt seinen völlig verdatterten Kindheitsfreund, ihn nach Hause zu begleiten. Was zu einem turbulenten Clash führt: Pu ist im Getriebe der Großstadt ebenso ein “fish out of water” wie bald Christopher im Hundert-Morgen-Wald, wo ihn außer Pu erstmal niemand wiedererkennt.

Der Film kreiert aus dieser Konfrontation viele lustige Szenen; ein so fröhliches Nachleben als Kinderkinoheld, wie es “Paddington” in den beiden Realfilm-Adaptionen von 2014 und 2017 hat, ist dem kleinen Pu aber trotzdem nicht beschieden: Zu grau hängen die Wolken über der südenglischen Landschaft, und zu viel Melancholie sitzt in dem ernsten Teddy-Gesichtchen von Pu und in den kleinen Fältchen um die Augen von Hauptdarsteller Ewan McGregor.

In “Goodbye, Christopher Robin” herrschte eine latente Reibung zwischen den in idyllisches Licht getauchten Bildern und dem eigentlich dunklen Tonfall der Geschichte – um einen Autor, der um des Erfolgs willen die intime Fantasiewelt seines Kindes zum öffentlichen Gegenstand macht. In Marc Forsters Film ist es nun eine Reibung in umgekehrter Richtung: Die heiter-naive Story um die Heilung eines Mannes durch die Wiederbegegnung mit den kuscheligen Inkarnationen seiner Kindheit reibt sich an einer Inszenierung, die die Traurigkeit um die (unausweichliche) Vertreibung aus dem Paradies der kindlichen Unbeschwertheit nie ganz los wird.

Während der Zuschauer in “Goodbye, Christopher Robin” stets das Gefühl hatte, eine bittere Pille zu süß serviert zu bekommen, wirkt diese Reibung in Disneys “Christopher Robin” durchaus passend: Die wichtigste Identifikationsfigur des Films ist der Erwachsene Christopher Robin. Schon damit signalisiert der Film, dass er sich mindestens so sehr, vielleicht sogar mehr als an Kinder an ein erwachsenes Publikum richtet, das mit leiser Wehmut an die eigene Kindheit zurückdenkt. McGregors einfühlsames Spiel, aber auch das liebevoll-schlichte “Creature Design” von Pu und Co., das primär durch die Sprecher Charakter bekommt, navigiert den Film dabei souverän an der Schmalzigkeit vorbei zum anrührenden Nostalgie-Fest.