Ein Online-Trend mit exzessiven Essauftritten besorgt Chinas Behörden. Viele Anbieter überlisten die Zensur der Plattformen. Hilft allein der Appell an die Internetnutzer – die obendrein immer dicker werden?
Sechs Eisbein in 15 Minuten, ein Marathon mit Fertignudeln, kiloweise Flusskrebse, Mangos und Litschis oder extrem scharfes Essen. Trotz aller Anstrengungen der Behörden überfluten Fressvideos chinesische Streaming-Plattformen. Die “Könige der großen Mägen” (Daweiwang), wie sie auf Chinesisch genannt werden, verschlingen vor ihrem Online-Publikum riesige Mengen an Nahrungsmitteln, um Klicks zu generieren. In einem eindringlichen Appell rief die chinesische Verbrauchervereinigung die Internetnutzer jetzt auf, sich “rational” solch extremen Inhalten zu widersetzen.
“Verfolgen, liken oder verbreiten Sie keine Inhalte zu extremen Essgewohnheiten, die Verschwendung fördern und die Gesundheit schädigen”, rief der Verbraucherverband auf. “Blockieren Sie entsprechende Konten und Kanäle aktiv.” Einige Online-Plattformen seien “gegenwärtig voller extremer Essensvideos”, wurde beklagt. Diese sensationsheischenden Inhalte suchten Aufmerksamkeit, indem sie entweder das menschliche Maß des Essens bis an die physiologischen Grenzen trieben oder mit bizarren und seltenen Zutaten provozierten.
Solche Formate stünden “nicht nur im krassen Widerspruch zum wahren Wesen der Esskultur, sondern führen auch zu erschütternder Lebensmittelverschwendung”, hieß es in der Erklärung, die in Chinas Staatsmedien große Verbreitung fand. “Derartige Fressvideos widersprechen grundlegenden Prinzipien eines gesunden, sparsamen und zivilisierten Lebensstils.” Auch seien sie eine offene Missachtung der traditionellen chinesischen Tugend der Genügsamkeit – und zudem ein Verstoß gegen das Gesetz zur Vermeidung von Lebensmittelverschwendung von 2021.
Das Gesetz richtete sich damals schon gegen den “Mukbang”-Trend, der in den 2010er Jahren in Südkorea im Streaming begann und wörtlich mit “Essens-Übertragung” übersetzt wird. Nach Artikel 13 und 15 der Vorschriften dürfen Medienunternehmen und Plattformen keine Inhalte verbreiten, die durch Fresswettbewerbe oder “Essens-Challenges” zur Verschwendung von Lebensmitteln ermutigen. Wiederholte oder schwere Verstöße können mit Geldstrafen bis zu 100.000 Yuan (umgerechnet fast 12.000 Euro) geahndet werden.
Im November legten das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei und der Staatsrat noch einen Aktionsplan nach, der die Produktion und Verbreitung von Sendungen und Videos, “die übermäßiges Essen und andere Verhaltensweisen zur Lebensmittelverschwendung fördern, strengstens verbietet”.
Während politische Zensur in China eher lückenlos funktioniert, rutschen viele Fressvideos unter dem Radar durch. Bei den Livestreaming-Plattformen gebe es “regulatorische Schwachstellen”, beklagt die Zeitung “Fazhi Ribao”. Die Überwachung basiere auf Stichwortfiltern und manuellen Stichproben. Manche Live-Übertragungen erfolgten nachts.
Auch entgingen sie der hausinternen Zensur durch falsche Textmarkierungen wie “Lebensmittelverschwendung vermeiden”, “Fiktive Interpretation, nur zur Unterhaltung” oder irreführende Beschreibungen der Essensmenge als “Nicht für eine Person allein”. Oft sei zudem nicht klar, ob Waren angeboten oder es sich um eine reine Essens-Sendung handele. “Dieses undurchsichtige Verhalten erschwert die Überwachung zusätzlich”, stellt das juristische Fachblatt fest.
Die Verbrauchervereinigung richtet sich deswegen nicht nur an die Produzenten der Videos und die Online-Dienste, sondern direkt an das Publikum: “Wir müssen die Überzeugung fest verankern, dass Verschwendung beschämend und Sparsamkeit ehrenhaft ist.” Das Bewusstsein gegen Überfluss müsse zur Selbstverständlichkeit im Alltag werden. “Jede Schale Brei, jeder Bissen Reis ist schwer erarbeitet – selbst kleinste Dinge wie ein Faden oder Stoffstück sollen uns an den Wert harter Arbeit und knapper Ressourcen erinnern”, wurde an alte chinesische Tugenden erinnert.
Der Appell gewinnt zusätzlich an Bedeutung, weil die Chinesen mit wachsendem Wohlstand immer dicker werden. Die Zahl der übergewichtigen und fettleibigen Chinesen ist 2021 bereits über die Rekordmarke von 400 Millionen gestiegen und könnte nach einer neuen Schätzung bis 2050 sogar 627 Millionen erreichen, wie das Wissenschaftsmagazin “The Lancet” berichtete.
Die Ursachen sind laut Experten zunehmender wirtschaftlicher Fortschritt, unausgewogene Ernährung, mangelnde Bewegung und die ausschweifende traditionelle Esskultur in China. Erst im Mai rief die Partei – nicht zum ersten Mal – ihre Mitglieder auf, auf exzessive Ess- und Trinkgelage zu verzichten: “Sparsamkeit und Einfachheit sind nicht nur Tugenden, sondern die Grundlagen der Glaubwürdigkeit und Stärke unserer Partei.”