Artikel teilen:

Briefe von Heini, der Menschen vernichten ließ

Jahrzehntelang hat der israelische Kunstsammler Chaim Rosenthal Briefe von Heinrich Himmler unter seinem Bett in Tel Aviv gelagert. Sie waren schon fast in Vergessenheit geraten, als Rosenthals Sohn sie fand. … Von Veit Hoffmann

Von Veit Hoffmann

Als Kind dachte ich, dass böse Menschen zusammengewachsene Brauen und grimmige Rasputin-Augen haben. Doch das stimmt nicht. Seit dem Wochenende begegnet uns „Heini“, wie er sich selbst immer wieder nennt: Heinrich Himmler, ab 1943 Reichsminister des Innern und einer der Hauptverantwortlichen für den Holocaust. 700 Briefe, die er von 1927 bis kurz vor seinem Selbstmord an seine Frau Margareta schrieb sind aufgetaucht, wurden aufgearbeitet und erscheinen derzeit als kommentierte Serie in der WELT. 40.000 Dollar für die Himmler-Tagebücher

Die Geschichte der Briefe ist abenteuerlich: Nach dem Krieg stellten zwei US-Soldaten in Himmlers Haus am Tegernsee sie und andere Dokumente sicher. Das Material gelangte anschließend in die Hände des in Tel Aviv lebenden Chaim Rosenthal, der es 40 Jahre lang unter seinem Bett verborgen hielt. Es gibt zwei Versionen, wie Rosenthal an die Briefe gekommen ist. Die eine besagt, er habe sie auf einem Flohmarkt in Brüssel erstanden. Die andere, er habe sie von einem Vertrauten von Himmlers ehemaligem Assistenten, Karl Wolf, für 40.000 US-Dollar in Mexiko gekauft.

In den 80er Jahren wollte Rosenthal die Dokumente verkaufen, doch das Magazin Stern hatte gerade Auszüge aus einem gefälschten Hitler-Tagebuch publiziert. Die Medien waren deshalb skeptisch und Rosenthal verzichtete auf einen Deal. Als er 90 Jahre alt war, überzeugte sein Sohn ihn, das Material zur Veröffentlichung freizugeben. 2007 erstand schließlich der belgische Diamantenhändler David Lapa es für eine symbolische Summe. Lapa überließ die Unterlagen seiner Tochter Vanessa, die aus ihnen einen Film produzierte. Sie wandte sich zudem vor drei Jahren an die WELT. Dort erscheinen sie nun in Auszügen und verursachen einen weltweiten Rummel.

Die Dimension der Gewalt bleibt außen vor

In diesen Briefen, so weiß man schon vorab, bleibt die Dimension der Gewalt, des Bösen, der fanatischen Ideologie, des Rassenhasses außen vor. Nichts findet sich über die Befehle, die er gibt, nichts über Mordeinsätze, die er befiehlt, nichts über das Konzentrationslager Auschwitz, nichts von seiner irrationalen Besessenheit. In diesen Briefen reflektiert er nicht über das, was er tut. Nein, es schreibt „Heini“, der großen Wert auf Anstand legt und ungerührt Millionen Menschenleben vernichten ließ. Es schreibt „Papi“, der seiner Tochter einen „Kussi“ schickt. Die Briefe sind banal – zumindest jene, die ich bisher las – sie zeigen nichts von dem Monster, das hinter dieser Fassade steckt. Hier schreibt nicht ein Schwergewicht der Nazis sondern ein bürgerliches Fliegengewicht.

Glauben heißt, mit Widersprüchen zu leben

Es mag sein, dass manche die Veröffentlichung der Briefe aus einer Art Sensationsgier lesen, ob sich in diesem Monster vielleicht doch noch irgendein Funke Menschlichkeit befindet. Andere werden bei der Lektüre der Briefe vielleicht mit ihrer eigenen Widersprüchlichkeit konfrontiert, mit der sie groß wurden: Vater arbeitete im KZ, kam abends nachhause, streichelte den Schäferhund, las der Tochter eine Gutenachtgeschichte vor und hörte Bach …

Ich denke über diese Serie nach und sage mir: Glauben heißt auch mit Widersprüchen zu leben. Glauben bedeutet, an Gott festzuhalten – auch in menschlicher Finsternis. Es gibt viele Ereignisse – auch im persönlichen Leben, in denen wir nichts anderes sehen können als die enorme Schuld, die wir niemals verstehen werden und können. „Sich jedoch solchen Ereignissen auszuliefern und zu unterwerfen, hieße, den Glauben aufzugeben. Der Glaube aber kapituliert nicht. Er hält sich an die Gnade Gottes und findet darin Trost“ schrieb einmal Altbischof Wolfgang Huber. Das stimmt und ist dennoch so schwer zu verstehen.