Seit 1. Januar arbeitet die blinde Nora Rämer als Pfarrerin im Kirchenkreis Neukölln
VonCordula Möbius
Viele verschiedene Projekte betreut Pfarrerin Nora Rämer aus Berlin-Buckow: Sie arbeitet mit Konfirmanden und bietet Sprechstunden für Mitarbeiter der Diakonie an. Darüber hinaus ist sie in die Organisation der zweimal im Jahr stattfindenden Gottesdienste für Menschen mit dementiellen Erkrankungen eingebunden. Und seit November 2015 begleitet die Mittfünfzigerin einen kleinen Kreis Ehrenamtlicher, die den Deutschunterricht am Efeuweg, einer Unterkunft für Geflüchtete, übernommen haben. Und sie hält natürlich Gottesdienste.Ungewöhnlich daran ist, dass Nora Rämer mit Mitte fünfzig quasi als Berufseinsteigerin gilt und dass sie ihre verantwortungsvollen Aufgaben mit einer besonderen Behinderung wahrnimmt: Nora Rämer ist blind. Aufgrund einer Erkrankung ließ ihr Sehvermögen nach, als sie Anfang dreißig war. Innerhalb von zehn Jahren ging es ganz verloren. Die so lebenszugewandte Frau war gezwungen, den Beruf der Krankenschwester, dem sie sich mit Leib und Seele verschrieben hatte, an den Nagel zu hängen und sich umzuorientieren. Sie besuchte die Blindenschule und absolvierte eine Lektorenausbildung, die in ihr den Hunger auf ein theologisches Studium weckte.Der örtliche Gemeindepfarrer bestärkte Nora Rämer, diesen Weg zu gehen. „Vielleicht war es mein Glück, das ich voller Elan und ganz blauäugig an mein Studium herangegangen bin“, sagt sie heute. „Denn immerhin musste ich drei Sprachen neu lernen: Altgriechisch, Latein und Hebräisch. Für blinde Menschen ist das eine Aufgabe, die bereits mit der Beschaffung des Lehrmaterials beginnt.“ Die größte Herausforderung im Studium sei aber gewesen, bestimmte soziale Kompetenzen zu entwickeln. „Ohne die ständige Kommunikation mit Professoren, Dozenten und meinen Mitstudenten wäre ich aufgeschmissen gewesen“, sagt sie. Doch sie hat es geschafft.Und die Erfahrungen aus dem Studium kommen ihr heute bei der täglichen Arbeit zugute – in den verschiedenen Projekten und auch in den Gottesdiensten, die sie nicht nur in Berliner Gemeinden, sondern auch ins Umland führen. Mit Blindenführhund Vroni oder ohne.Vor Ort übernehmen meist die Menschen, die Kirchdienst tun, ihre Begleitung. Sie geleiten die Pfarrerin zum Altar, zur Kanzel oder an den Taufstein und helfen beim Abendmahl. „Das finde ich gut so. Es ist ein so achtsamer Umgang miteinander. Die Gemeinde vertraut mir und ich vertraue mich der Gemeinde an.“ Spannend sei es, wie die Menschen ihre Kirchen beschrieben, sagt Nora Rämer. „Ich frage sie immer: Wie sehen Ihre Kirchen aus? Und ich merke, dass sie durch das Beschreiben einen völlig neuen Blick für ihre eigenen Kirchengebäude gewinnen. Das ist schön und jedes Mal eine tolle Erfahrung.“ Eine große Selbstverständlichkeit im Umgang mit ihrer Sehbehinderung erlebt Nora Rämer im inklusiven „Zentrum Dreieinigkeit“ in Berlin-Buckow, einer ihrer Hauptwirkungsstätten. Hier wird Barrierefreiheit groß geschrieben. Es gibt Hörschleifen in der Kirche, eine Beschilderung in Brailleschrift, Informationen in einfacher Sprache und Piktogramme zur Orientierung. Menschen mit Beeinträchtigungen arbeiten im Gemeindebeirat mit oder singen in den Chören. „Es wäre das Größte, wenn wir so einen Grad der Selbstverständlichkeit allgemein im Umgang miteinander bekommen.“
Kontakt: Pfarrerin Nora RämerE-Mail: n.raemer@gmail.comTelefon: (0163)8414664