Predigttext am 18. Sonntag nach Trinitatis: Jakobus 2, 1–13 Meine Brüder und Schwestern, haltet den Glauben an Jesus Christus, unsern Herrn der Herrlichkeit, frei von allem Ansehen der Person. Denn wenn in eure Versammlung ein Mann kommt mit einem goldenen Ring und in herrlicher Kleidung, es kommt aber auch ein Armer in unsauberer Kleidung, und ihr seht auf den, der herrlich gekleidet ist, und sprecht zu ihm: Setz du dich hierher auf den guten Platz!, und sprecht zu dem Armen: Stell du dich dorthin!, oder: Setz dich unten zu meinen Füßen!, macht ihr dann nicht Unterschiede unter euch und urteilt mit bösen Gedanken? Hört zu, meine Lieben! Hat nicht Gott erwählt die Armen in der Welt, die im Glauben reich sind und Erben des Reichs, das er verheißen hat denen, die ihn lieb haben? Ihr aber habt dem Armen Unehre angetan. Sind es nicht die Reichen, die Gewalt gegen euch üben und euch vor Gericht ziehen? Verlästern sie nicht den guten Namen, der über euch genannt ist? Wenn ihr das königliche Gesetz erfüllt nach der Schrift (3. Mose 19, 18): „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“, so tut ihr recht; wenn ihr aber die Person anseht, tut ihr Sünde und werdet überführt vom Gesetz als Übertreter. Denn wenn jemand das ganze Gesetz hält und sündigt gegen ein einziges Gebot, der ist am ganzen Gesetz schuldig. Redet so und handelt so als Leute, die durchs Gesetz der Freiheit gerichtet werden sollen. Denn es wird ein unbarmherziges Gericht über den ergehen, der nicht Barmherzigkeit getan hat; Barmherzigkeit aber triumphiert über das Gericht. (gekürzt)
Von Gerhard Gabriel
Es geht mit dem heutigen Predigttext um unser Tun! Damit kommen wir zu dem Widerspruch unseres Freundes und Bruders Martinus mit seinem Wort über Jakobus von der „strohernen Epistel“. Wir wissen, für Luther zählt zuerst und allein der Glaube an Gott, nicht unser Tun: „Darum kann ich ihn (den Brief) nicht unter die rechten Hauptschriften setzen, will aber damit niemand wehren, dass er ihn setze und erhebe, wie es ihn gelüstet; denn viele gute Sprüche sonst darinnen sind“, schrieb er.
Mich „gelüstet“ es, diesen Jakobusbrief zu „erheben“, denn ich lese hier von Problemen der frühen christlichen Gemeinden. Sie sind dabei, sich den gesellschaftlichen Verhältnissen anzupassen, gewohnte Riten und Sitten der damaligen Zeit zu kopieren: Die Reichen sitzen oben, die Armen unten. „Denn die einen sind im Dunkeln und die anderen sind im Licht. Und man sieht nur die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht“, heißt es in Bertolt Brechts Dreigroschenoper.
So war‘s schon immer, so soll es bleiben? Nein!, sagt Jakobus. Bei uns zählen andere Maßstäbe. Wir sehen die Menschen unter einem anderen Blickwinkel. Wo der Glaube an Jesus Christus gelebt wird, gilt kein An – sehen der Person, soziale und Standesunterschiede haben unter uns in der christlichen Gemeinde nichts zu suchen, denn sie blockieren das Aufkeimen des Reiches Gottes. Aus dem Glaube an Gott mit unserer Ebenbildlichkeit ihm gegenüber, folgt das Postulat der Würde jedes Menschen. Das ist auch in unser Grundgesetz eingeflossen.
Luthers Dissens mit Jakobus kennen wir aus seiner Rechtfertigungslehre: gerecht allein aus Glauben, nicht aus den Werken! Doch die Forderung des Jakobusbriefes „Seid aber Täter des Wortes!“ und die paulinische Rechtsfertigungslehre stehen nicht im Widerspruch. Beide gehören zueinander. „So ist auch der Glaube, wenn er nicht Werke hat, tot in sich selbst“ (Jakobus 2, 17).
Tote Kirchen kennen wir alle zur Genüge, nicht nur die „Entwidmeten“. In Russland nennt man Kirchen, die eine lebendige Gemeinde haben „Cerkow rabotajet“, das heißt: „die Kirche arbeitet“. Demnach liegen bei uns viele Kirchen faul danieder. Sie arbeiten nicht (mehr). Gelebtes Leben im Horizont des Reiches Gottes, inspiriert von Jesus Christus, das bringt den Geist der Barmherzigkeit mit sich. Dabei wird der, der Barmherzigkeit empfängt, nicht gedemütigt.
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