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Bei ihm lernte Goethe das Zeichnen – Rom entdeckt Kniep

Er ist lange nicht so bekannt wie seine Künstlerkollegen Tischbein oder Bury – zu Unrecht, wie eine neue Schau im Goethe-Haus in Rom zeigt. Sie würdigt den vor 200 Jahren gestorbenen Zeichner Christoph Heinrich Kniep.

Für diese Ausstellung ist eine Lupe hilfreich. Denn der Zeichner Christoph Heinrich Kniep (1755-1825) war nicht nur ein glänzender Kenner antiker Mythologie und süditalienischer Botanik, sondern auch fähig, all dies bis ins kleinste Detail auf Papier zu bringen. Seine Zeichnungen geraten zu Wimmelbildern, auf denen bei genauerem Hinsehen immer wieder Neues zu entdecken ist: hier ein Feigenkaktus, dort eine Nymphe, ein Maulbeerbaum, eine Hirtenfamilie – oder auch Goethe selbst. Denn Kniep war sowohl Reisebegleiter als auch Zeichenlehrer und “Dokumentar” des Dichterfürsten.

All das erzählt die Ausstellung “Italien in Linien – Meisterzeichnungen von Christoph Heinrich Kniep” im Museum Casa di Goethe in Rom: Sie vereint bis zum 11. Januar 2026 mehr als 40 Zeichnungen des Ausnahmekünstlers und einiger Zeitgenossen. Der Sohn einer Hildesheimer Fleischer- und Bierbrauerfamilie begann 1778 seine Laufbahn als Porträtzeichner in Hamburg, zog 1780 nach Berlin und um 1783 nach Rom, das im 18. Jahrhundert Besuchermagnet für wohlhabende Bildungsreisende auf “Grand Tour” war.

Um deren Wünsche nach Andenken zu befriedigen, entwickelte sich in Rom ein lebhafter Kunstmarkt; viele deutsche Künstler lebten vom Verkauf ihrer Werke an diese frühen Touristen – darunter auch die Maler Johann Heinrich Wilhelm Tischbein (1751-1829), Johann Georg Schütz (1755-1813) und Johann Friedrich Bury (1763-1823). Sie bildeten zeitweise gemeinsam mit Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) in der Via del Corso 18 – Sitz der heutigen Casa di Goethe – eine Künstler-WG. Mit ihnen freundete sich auch Kniep an.

Doch taugte der bodenständige Kniep nicht zur raschen Produktion gefälliger Auftragskunst und verlegte sich auch nie aufs lukrativere Malen. Der Zeichner blieb ohne Anspruch und Allüren, sein Marktwert wesentlich geringer als etwa der von Tischbein. Dieser porträtierte den Freund mit weichen Zügen und schwärmerischem Blick.

Im März 1787 lernten sich Kniep und Goethe auf Vermittlung von Tischbein in Neapel kennen. Gemeinsam bereisten sie drei Monate lang Sizilien, wo Knieps meisterhafte Umrisszeichnungen, zum Teil mit Sepiatinte oder Aquarellfarben überarbeitet, dem Dichter als Erinnerung für das Gesehene und als Bildarchiv dienten – bis zur Erfindung der Fotografie sollte es noch Jahrzehnte dauern. Noch Jahre später bestellte Goethe Blätter für sich und andere bei Kniep. In seinem Weimarer Haus am Frauenplan präsentierte er sechs Zeichnungen des Künstlers, bei dem er in Süditalien selbst Unterricht nahm.

Ausstellungskuratorin Claudia Nordhoff stellt zwei Bilder der beiden zum selben Motiv nebeneinander. Goethe gestaltet das “Grabmal des Theron in Agrigent” mit Feder, Pinsel und Fantasie als Landschaft in Braun, Schwarz und Grau, die jeden Salon schmücken würde. Dagegen muss sich der Betrachter anstrengen, auf Knieps Blatt die ausnehmend feinen Umrisslinien des originalgetreu festgehaltenen Grabmals zu erkennen.

Ebenso bietet Kniep geradezu eine Dokumentation der archäologischen Fortschritte der Ausgrabungen in Pompeji. Wie in fast allen seinen klassischen Ideallandschaften platziert er auch hier Figuren.

So findet sich im “Blick auf das Kolosseum in Rom” (1788) überraschend ein Zitat aus “Goethe in der Campagna”: Vor den antiken Ruinen sitzt sehr klein der Dichter in der bekannten Pose, ein Bein entspannt nach vorne gestellt – allerdings seitenverkehrt zu Tischbeins ikonischem Bildnis von 1787.

Knieps Verhältnis zu Goethe war ambivalent. Während er den Dichter offen verehrt, scheint sich dieser des Zeichners vor allem zu bedienen. Zugleich verbindet beide ihr intensives Interesse für das botanische System nach Carl von Linné.

Drei der neun erhaltenen Briefe, die im Ausstellungskatalog erschlossen sind, stammen von Goethe. Im letzten Schreiben von 1810 kündigt er die Ankunft mehrerer Durchlauchten in Neapel an, denen Kniep Kunst und Natur der Gegend zeigen solle. Dabei erinnert ihn der Dichter an ihre gemeinsame Zeit vor über 20 Jahren: “Gedenken Sie bey solchen Gelegenheiten auch an Ihren ehemaligen treuen Reisegefährten u. lassen mich einmal auch wieder etwas von sich erfahren.” Goethe schließt: “Ich unterzeichne mich mit den aufrichtigsten Gesinnungen.”

Nach der Ausstellung über die österreichische Dichterin Ingeborg Bachmann wendet sich die Casa di Goethe damit einem klassischen Thema aus der Zeit um 1800 zu. Es ist die erste ausführliche Schau über Kniep in Italien, dessen künstlerische Qualität bisher nicht immer ausreichend gewürdigt worden sei, erklärt das einzige deutsche Museum im Ausland.

Fast verarmt, erhielt der Zeichner mit Ende 60 eine Professur an der Kunstakademie Neapel, die jedoch undotiert war. Am 11. Juli 1825 starb Christoph Heinrich Kniep in der süditalienischen Stadt und wurde auf dem protestantischen Friedhof beigesetzt.