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Baustelle Pflege: Kommission plant die große Reform

In der Pflegeversicherung klafft ein Milliardenloch. Doch das ist nicht das einzige Problem. Eine neue Kommission soll Abhilfe schaffen. Die Bundesgesundheitsministerin sieht keinen Spielraum für neue Leistungen.

Am Montag tritt erstmals die Bund-Länder-Arbeitsgruppe zusammen, die eine grundlegende Reform der Pflegeversicherung erarbeiten soll. Experten aus der Praxis, wie Pflegeverbände und Heimbetreiber, nehmen nicht teil. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) nennt wichtige Themen, die dabei eine Rolle spielen werden.

Die Babyboomer werden die Situation der Pflege massiv verändern. Nicht nur, dass die Zahl der Pflegebedürftigen in den kommenden Jahren stark zunehmen wird. Auch bei den professionell Pflegenden scheiden bald viele aus dem Arbeitsleben aus. Das bedroht die Versorgung älterer Menschen stark.

Die Zahl der Pflegebedürftigen hat sich in den vergangenen 20 Jahren mehr als verdoppelt: Erhielten 2003 etwas mehr als zwei Millionen Menschen Leistungen der Pflegeversicherung, sind es mittlerweile 5,8 Millionen. Pro Jahr kommen durchschnittlich 300.000 Personen hinzu, 2023 sogar 360.000.

Hintergrund sind die Alterung der Gesellschaft, aber auch Reformen der Pflegeversicherung, die zu mehr Leistungsempfängern führten. Bis 2055 dürfte die Zahl nach Vorausberechnungen des Statistischen Bundesamtes auf mehr als sieben Millionen steigen.

Die Gesamtausgaben der Pflegeversicherung lagen 2023 bei rund 59,2 Milliarden Euro. Die Ausgaben für die ambulanten Leistungen beliefen sich auf 36,2 Milliarden Euro, für stationäre Leistungen lagen sie bei rund 19,7 Milliarden Euro.

Nach Berechnungen von Experten steuert die Pflegeversicherung in diesem Jahr auf ein Defizit von 1,65 Milliarden Euro zu, 2026 wären es demnach 3,5 Milliarden Euro. Um die Finanzsituation kurzfristig zu stabilisieren, hat Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) für die kommenden beiden Jahre ein Darlehen von insgesamt zwei Milliarden Euro zugesagt, die allerdings ab 2029 zurückzuzahlen sind.

Die Pflegekassen, aber auch Warken, sehen zunächst den Bund in der Pflicht, mit Steuermitteln zu stützen. Die Pflegeversicherung habe Corona-Hilfen von rund sechs Milliarden Euro ausgelegt. Zwischenzeitlich hatte es Signale aus den Koalitionsverhandlungen gegeben, dass versicherungsfremde Leistungen wie die Rentenversicherungsbeiträge für pflegende Angehörige und die Ausbildungsumlage aus Steuergeldern gezahlt werden sollten. Das alles ist nicht mehr im Koalitionsvertrag enthalten.

Seit Jahren gibt es Debatten über strukturelle Reformen auf der Einnahmenseite: SPD und Grüne sind für eine Bürgerversicherung, in die auch Beamte und Selbstständige einzahlen. Darüber hinaus wird darüber diskutiert, dass Gutverdiener höhere Beiträge leisten, etwa durch eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze. Kanzler Friedrich Merz (CDU) hat sich für mehr Eigenvorsorge ausgesprochen. Er schlägt eine private Pflegezusatzversicherung vor.

Im Schnitt müssen Pflegeheimbewohner derzeit monatlich rund 3.000 Euro zuzahlen. Für immer mehr Bewohner droht diese steigende Eigenbeteiligung zur Armutsfalle zu werden. Sie rutschen in die Sozialhilfe – und das, obwohl die Pflegekassen sich mit einem Leistungszuschlag an den Kosten beteiligen. Die Pflegekassen sehen hier vor allem die Länder in der Pflicht, die Finanzierung der Investitionskosten zu übernehmen. Auch gibt es Forderungen, dass Besserverdienende einen höheren Anteil an den Heimkosten zahlen.

Die Situation der Pflege könnte verbessert werden, wenn ältere und pflegebedürftige Menschen länger in ihren eigenen vier Wänden leben können – durch Unterstützung der pflegenden Angehörigen oder soziale, hauswirtschaftliche und medizinische Angebote in Stadtteilen und Dörfern. Experten schlagen außerdem neue Wohnformen wie etwa ambulant betreute Wohngemeinschaften oder Mehrgenerationenhäuser vor. Außerdem könnten Vorbeugung und Rehabilitationsangebote dafür sorgen, dass Pflegebedürftigkeit verhindert oder aufgeschoben wird.

Der Deutsche Pflegerat geht davon aus, dass bis 2034 rund 500.000 Pflegekräfte (in Kranken- und Altenpflege) fehlen werden. Bereits jetzt seien 115.000 Stellen nicht besetzt. Es geht also darum, mehr Menschen für den Pflegeberuf zu gewinnen – durch attraktivere Arbeitsbedingungen, Werbung im Ausland und neue Berufsfelder. Flexiblere Arbeitszeitmodelle wie die Vier-Tage-Woche könnten eine weitere Maßnahme sein.

Bei der Bezahlung haben die Pflegekräfte enorm aufgeholt. So ist zum 1. Juli der Mindestlohn für Pflegefachkräfte auf 20,50 Euro pro Stunde gestiegen, qualifizierte Pflegehilfskräfte mit mindestens einjähriger Ausbildung erhalten mindestens 17,35 Euro pro Stunde und Pflegehilfskräfte mindestens 16,10 Euro pro Stunde. Die Mindestlöhne in der Pflege sind damit deutlich höher als der allgemeine Mindestlohn.

Die schwarz-rote Koalition will laut Koalitionsvertrag an die bereits von der Ampelkoalition vorgelegten Gesetze zur Pflegekompetenz und zur Pflegeassistenz anknüpfen. Mit dem Pflegekompetenzgesetz sollen Pflegekräfte mehr Befugnisse erhalten: So sollen Pflegefachkräfte zum Beispiel bei der Versorgung von Diabetes, Wundheilungsstörungen oder Demenz mehr eigenständige Entscheidungen treffen können, ohne auf ärztliche Weisung angewiesen zu sein. Das Pflegefachassistenzgesetz soll dafür sorgen, dass in den Pflegeberufen mehr Vielfalt entsteht.

Auch das Gesetz zur Einführung der sogenannten Advanced Practice Nurse soll schnell auf den Weg gebracht werden. Dabei handelt es sich um gut ausgebildete Pflegekräfte, die in Dörfern und Stadtteilen vor Ort Gesundheitsfürsorge und soziale Beratung anbieten. Die Koalition hat sich zudem darauf verständig, innerhalb der ersten sechs Monate die Pflegenden von Bürokratie zu entlasten. So sollen Berichtspflichten, Dokumentationspflichten und Kontrolldichten verringert und doppelte Prüfstrukturen abgebaut werden.

Bundesfamilienministerin Karin Prien (CDU) hat angekündigt, ein “Pflegegeld” einführen zu wollen – eine Lohnersatzleistung für pflegende Angehörige. Wichtig wäre es zudem, mehr Angebote für Tages- oder Kurzzeitpflege zu schaffen. Derzeit gibt es viel zu wenig davon. Außerdem nehmen viele Angehörige ihre Rechte wegen komplizierter Bürokratie gar nicht wahr.