Fortsetzung einer dokumentarischen Langzeitstudie über türkisch-stämmige Frauen, die in den 1990er-Jahren hoffnungsfrohe junge Fußballerinnen waren und dreißig Jahre später teils noch immer um ihren Platz im Leben ringen.
“Es geht um mehrere Frauen, die damals in der Fußballmannschaft waren.” So fasst die junge Selin zum Auftakt den Inhalt des folgenden Dokumentarfilms in einem Videostream zusammen, in dem sie Fragen ihrer Follower beantwortet. Eine der erwähnten Frauen ist Selins Mutter Türkan, die anderen heißen Arzu, Nalan und Nazan. Ihre Jugendzeit, als sie als erste türkische Frauen-Fußballmannschaft Europas mit dem Vereinsnamen BSC Agrispor in Berlin-Kreuzberg Furore machten, sehen sie im Rückblick als “schönste Zeit des Lebens”. “Das war unser Platz”, beschreibt eine von ihnen das erhebende Gefühl auf dem Rasen am Görlitzer Park, wo die meisten Spiele ausgetragen wurden.
Dreimal schon hat die Filmemacherin Aysun Bademsoy die vier Frauen dokumentarisch begleitet. In “Mädchen am Ball” (1995) zeigte sie, wie die damals Jugendlichen ein eigenes Selbstverständnis als tatkräftige junge Frauen entwickelten und Pläne für die Zukunft schmiedeten. Doch schon zwei Jahre später, als Bademsoy die Frauen für ihre zweite Beobachtung “Nach dem Spiel” (1997) erneut aufsuchte, waren viele Ideen im Sande verlaufen. Ein weiteres Jahrzehnt später, nachzuschauen in “Ich gehe jetzt rein” (2008), war die Bilanz ernüchternd: Keine der Agrispor-Spielerinnen hat die Schule oder eine Ausbildung beendet, Arzu geriet auf eine schiefe Bahn, die alleinerziehende Türkan schlug sich mit ihrer Arbeitslosigkeit herum und die Zwillinge Nalan und Nazan haben geheiratet und Kinder bekommen. Der Traum vom Fußball? Ausgeträumt.
Im vierten Teil ihrer Langzeitbegleitung zeigt Aysun Bademsoy die aktuellen Lebenssituationen der Protagonistinnen, 17 Jahre nach dem letzten Teil der Reihe und ganze 30 nach dem ersten. Inzwischen sind die Frauen Mitte bis Ende 40 und haben alle doch noch einen Platz im Leben gefunden – wenn auch nicht auf dem Fußballplatz. Mit dem Spielen aufgehört haben sie schon im Jahr 2000. Nun kommen sie zur Beerdigung ihres früheren Trainers Aram zusammen, den sie seither nicht mehr gesehen haben: “Mit grauen Haaren kennen wir ihn gar nicht.”
Türkan arbeitet als Busfahrerin, pflegt ihren Vater und diskutiert mit ihrer Tochter Selin, die sich mit Anfang 20 mehr Freiheiten wünscht – eine interessante Spiegelung zu den Aussagen, die Türkan und ihre Freundinnen einst in “Mädchen am Ball” getroffen haben. Die Zwillinge Nalan und Nazan betreiben als Gastronominnen drei Restaurants; auch ihre Kinder sind in den letzten Jahren zu jungen Erwachsenen herangewachsen. Arzu hat ihre schwierige Zeit überwunden und ist, nachdem die Staffelmiete immer weiter anstieg, wieder zu ihren Eltern gezogen. Als einzige der früheren Spielerinnen steht sie gelegentlich noch auf dem Kreuzberger Fußballplatz.
Wie die Vorgänger ist “Spielerinnen” ein zurückhaltend beobachtender Dokumentarfilm, der ohne einen Kommentar auskommt und vielfach aus der Hand gefilmt ist. Nur selten sind die Fragen von Bademsoy aus dem Off zu hören. Oft zeigt die Regisseurin wortlose Situationen lange am Stück, was für die Einfindung in die Lebenswelten der Frauen und die eigene Meinungsbildung förderlich ist. Interessant sind die Sequenzen, in denen Türkan, Arzu, Nalan und Nazan auf alte Fotos oder die Aufnahmen aus den früheren Filmen und ihre darin getätigten Äußerungen reagieren. Nebenbei veranschaulichen diese Momente auch die Weiterentwicklung der Kameratechnik, wenn die analogen 4:3-Aufnahmen von 1995 auf das digitale Heute treffen.
Bademsoys Augenmerk liegt diesmal nicht nur auf ihren etablierten Protagonistinnen, sondern insbesondere auch auf deren Kindern, allen voran auf Türkans Tochter Selin. So wird “Spielerinnen” zum Porträt zweier Generationen. Viel getan hat sich im Vergleich zur Jugend der Mütter nicht. Der Riss, der das türkische Migrantenmilieu von der deutschen Mehrheitsgesellschaft trennt, besteht nach wie vor. Selins Bezug auf den Islam wirkt dabei mitunter wie eine Pose oder ein Reflex. Die junge Frau bekennt, ihr künftiger Ehemann müsse unbedingt ein Muslim sein, weil sie sich sorgt, dass die türkische Kultur bei einem zu hohen Grad an Anpassung verschwinden könnte – und zu Deutschen habe sie ohnehin kaum Kontakt. “Hast du den Koran schon mal gelesen?”, fragt Bademsoy aus dem Off. Selins zögerliche Bejahung sät durchaus Zweifel. “Bist du Deutsche oder Deutschtürkin?”, will Bademsoy wissen. “Deutschtürkin,” sagt Selin.
Schon weil der Film ausschließlich Frauen begleitet, streift er immer wieder die Frage nach den Rollenbildern von Musliminnen. Und die scheinen bei den ursprünglichen Protagonistinnen auf mehr Widerspruch zu stoßen als bei den Jungen. Wie frei man sich als Frau zwischen den Kulturen bewegen könne, sei eine “reine Glückssache”, heißt es einmal im Film. “Es wird gewürfelt, wie viele Cousins und Onkel du hast, die sich einmischen.” Dennoch sind die muslimischen Traditionen ein fixer Bezugspunkt für die Türkinnen, die sich vielfach nicht als Deutsche akzeptiert fühlen.
Der Film endet nicht in Kreuzberg, sondern in der Türkei. Dorthin ist Arzu gereist, die mit 46 Jahren darüber nachdenkt, im Herkunftsland ihrer Eltern nochmal ein neues Leben anzufangen. Gut möglich, dass Aysun Bademsoy sie in ein paar Jahren dort vorfindet – und ihr seit nunmehr drei Jahrzehnten verfolgtes Dokumentarfilmprojekt, das durch den zeitlichen Abstand auch eine Zeitkapsel in die Vergangenheit geworden ist, um ein weiteres Kapitel erweitert.