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Arzneirückstände im Wasser – Pharmabranche klagt gegen Zahlungen

Arzneimittelreste belasten das Wasser und damit potenziell die Gesundheit der Bevölkerung. Eine vierte Reinigungsstufe in den Kläranlagen soll es herausfiltern. Die Pharmaindustrie wehrt sich, weil sie dafür zahlen soll.

Die Pharmaindustrie wehrt sich dagegen, für Arzneimittelrückstände im Abwasser zahlen zu müssen. Der Branchenverband Pharma Deutschland und sechs Mitgliedsunternehmen kündigten am Montag in Berlin eine Klage gegen die europäische Kommunalabwasserrichtlinie beim Europäischen Gerichtshof an.

Es geht dabei um die sogenannte erweiterte Herstellerverantwortung. Auf ihrer Grundlage sollen die Pharmaunternehmen verpflichtet werden, den Aufbau und den Betrieb einer zusätzlichen vierten Klärstufe für kommunale Kläranlagen zu finanzieren. Damit sollen künftig in größeren Kläranlagen auch Mikroschadstoffe aus dem Abwasser gefiltert werden. Darüber hinaus soll Abwasser den neuen Regeln zufolge künftig auch streng hinsichtlich etwa antibiotikaresistenter Erreger, Viren und Mikroplastik überwacht werden.

Die von den Unternehmen beklagte Richtlinie legt fest, dass mindestens 80 Prozent der Kosten für Bau und Betrieb einer vierten Klärstufe nach dem Verursacherprinzip auf die Hersteller von Human-Arzneimitteln und Kosmetika umgelegt werden. Damit soll ein Anreiz gesetzt werden, auf ökologische beziehungsweise nachhaltigere Produkte umzustellen. Die Pharmaindustrie befürchtet jährliche Kosten in Milliardenhöhe. Diese Verpflichtungen seien unfair, weil Verunreinigungen auch aus anderen Quellen wie Pflanzenschutz- und Reinigungsmitteln sowie dem Verkehr stammten.

Die Unternehmen verweisen darauf, dass die größtenteils aus privaten Haushalten stammenden Abwasser unter anderem durch Abbauprodukte von Arzneimitteln belastet sind, die durch menschliche Ausscheidungen entstehen und bei jedem Toilettengang ins Abwasser gelangen. Die von der Abwasserrichtlinie angestrebte Lenkungsfunktion des Verursacherprinzips könne jedoch bei Human-Arzneimitteln nicht erreicht werden, weil der gewünschte Effekt von Arzneimitteln fest mit den jeweiligen Wirkstoffen verbunden sei. Darüber hinaus ließen sich die zu beseitigenden Spurenstoffe in den kommunalen Abwässern keineswegs nur auf Human-Arzneimittel oder Kosmetika zurückführen.

Die Hauptgeschäftsführerin von Pharma Deutschland, Dorothee Brakmann, erklärte dazu: “Wir sehen in der Richtlinie Verstöße gegen EU-Recht und eine Gefahr für den Wirtschaftsstandort und die Versorgung mit Human-Arzneimitteln in Deutschland und Europa.” Durch die finanzielle Mehrbelastung der Pharmaunternehmen drohe eine Situation, in der sich viele für Menschen gedachte Arzneimittel nicht mehr kostendeckend in Deutschland oder Europa vertreiben ließen.

“Die Richtlinie würde einen Dominoeffekt haben und den strategischen Zielen einer stabilen EU-Arzneimittelversorgung und Reduzierung von Abhängigkeiten aus dem Ausland konträr gegenüberstehen”, warnte sie. Dies würde auch gesetzgeberischen Maßnahmen zur Bekämpfung bereits bestehender Lieferengpässe zuwiderlaufen.

Der Jahresverbrauch an Human-Arzneimitteln in Deutschland wird auf 30.000 Tonnen geschätzt und umfasst rund 2.300 Wirkstoffe. 1.200 von ihnen gelten als umweltrelevant und potenziell gesundheitsschädlich. Sie können mit konventioneller Klärwerks- und Wasseraufbereitungstechnik meist nur schwer entfernt werden. Nach Schätzungen der pharmazeutischen Industrie von 2018 sind die Hauptquellen für Humanarzneimittel im Oberflächenwasser Patientenausscheidungen (88 Prozent), unsachgemäße Entsorgung über Toilette und Spüle (10 Prozent) sowie Herstellungsprozesse (2 Prozent).