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Arte-Filmprojekt zeigt das Leid chilenischer Mütter hinter Gittern

“Malqueridas” rüttelt auf: Der künstlerische Dokumentarfilm zeigt das Gefängnis als Ort mit kleinen Hoffnungsschimmern und großer Ausweglosigkeit, an dem nur kleinste Kinder bei ihren inhaftierten Müttern bleiben dürfen.

Keines der Bilder aus “Malqueridas” hätte je an die Öffentlichkeit gelangen sollen. Denn was hinter den Mauern eines Frauengefängnisses in Chile passiert, spielt sich am äußersten Rand der Gesellschaft ab. Dort soll es bleiben – und in gewisser Weise als Mahnung fungieren. Denn es sind keine Menschen, die dort leben, sondern Verbrecherinnen. Handys sind dort genau aus diesem Grund verboten. Der Menschlichkeit soll keine Bühne geboten werden. Dennoch schaffen es die Frauen immer wieder, Mobiltelefone in ihre Zellen zu schmuggeln und ihren Alltag zu dokumentieren.

Die Regisseurin Tana Gilbert hat eine Reihe solch verwackelter Aufnahmen gesammelt und den Lebensgeschichten der Frauen gelauscht. Aus diesen Zeugnissen hat sie einen künstlerischen Dokumentarfilm geformt und damit das Schicksal der Frauen dem beschlagnahmenden Zugriff der Behörden entzogen.

Eine Erzählerin führt durch den Film, der auf der Bildebene vollständig aus kurzen Clips und Fotos montiert ist. Sie berichtet von ihren Kindern. Ihr Sohn kam im Gefängnis zur Welt; bis zum Alter von zwei Jahren dürfen Kinder in Chile bei ihren inhaftierten Müttern bleiben. Danach müssen die Kinder die Strafanstalt verlassen. Wenn sich kein Angehöriger um sie kümmert, sind sie auf Heime und Pflegefamilien angewiesen.

In diesen mütterlichen Trennungsschmerz stürzt sich “Malqueridas”. Denn die Bestrafung ist dadurch unendlich mehr als die bloße Tatsache, wegen einer Straftat eingesperrt zu sein. Die Gefangenen sind vielmehr schuldig, Frauen und Mütter zu sein. Sie haben gegen gesellschaftliche Erwartungen verstoßen, sind Geschöpfe einer patriarchalen Gesellschaft, von der sie verstoßen wurden. Die Männer leisten sich “Fehltritte”, während die Frauen qua Geschlecht ihre Schuld bezahlen.

Wie sich die Insassinnen mit diesem Martyrium arrangieren, schwesterlichen Zusammenhalt und Liebe finden, erzählt “Malqueridas” durch die exemplarische Lebensgeschichte einer Namenlosen. Mehrere Jahre muss sie im Gefängnis absitzen. Ihre ältere Tochter lebt bei ihrer Schwester. Auch den Sohn musste sie abgeben. Die Schwester aber kann auf Dauer mit der Verantwortung nicht umgehen. Alles ist Zwangslage, Not, Schwere.

Doch die inhaftierten Frauen lassen sich nicht unterkriegen. Sie filmen zärtliche Momente der Zweisamkeit und Fürsorge. Es mag auch Konflikte geben. Doch letztlich arrangieren sie sich, feiern Feste und geben einander Halt. Dennoch scheint der selbst herbeigeführte Tod nicht selten der einzige Ausweg zu sein.

“Malqueridas” ist aber mehr als die Wiedergabe einer Schicksalsgeschichte, erzählt mit Handyvideos. Erst am Ende offenbart sich der dramaturgische Kniff dieses Films. Die Erzählerin ist keine einzelne Stimme; sie existiert vielmehr als eine Art Komposition, als Verdichtung mehrerer Leben. Filmemacherin Gilbert fügt Bruchstücke zusammen und verdichtet biografische Momente zu einer einzigen Erzählung. Sie verlangsamt, streckt und springt zwischen Augenblicken hin und her. Jedes Handyvideo ist ein kurzer Ausschnitt neben vielen anderen. Würde man es dabei belassen, bliebe nichts weiter übrig als ein Rauschen, ein kaum vernehmbarer Schnipsel im Strom der Sozialen Medien.

Doch “Malqueridas” nutzt die Technik der Fiktion, um eine ganz und gar reale, existenzielle Atmosphäre in den Blick zu nehmen. Der Film ist das Porträt dieses Raumes außerhalb der Gesellschaft, bevölkert von Frauen, die keine Stimme haben. Der Film lässt die Individuen zu einem Subjekt verschmelzen und verwandelt ihre Erlebnisse zu einer wimmelnden Vielheit. Durch seine Künstlichkeit erzählt er mehr über die Rolle der Frauen in Chile, als es klassische Dokumentarfilme oftmals vermögen.

Man könnte sich daran stören, dass die strukturellen Bedingungen dieser Welt zu wenig zur Sprache kommen oder dass man die Erzählerin nicht greifen kann. Doch darum geht es “Malqueridas” nicht. Man soll diese Randzone der Weiblichkeit nicht begreifen, sondern erfahren. Man soll sich nicht identifizieren, sondern der Konfrontation mit dem Anderen standhalten. Es geht um Nachvollziehen, nicht um Verstehen.