Die Wartelisten sind lang, die Organspendebereitschaft gering – weshalb sich Kliniken und Privatfirmen der Forschung zu künstlichen Organen verschrieben haben. Eine informative Doku stellt den aktuellen Stand vor.
Man müsse sich das folgendermaßen vorstellen, erklärt Chirurg Igor Sauer: Die alten Bewohner des Hauses zögen aus, woraufhin renoviert und umgebaut werde; danach könnten dann neue Bewohner einziehen. Nur eben mit dem Unterschied, dass das “Haus” eine Rattenleber sei. Und es sich bei den “Bewohnern” um Zellen handle: Beim sogenannten Tissue Engineering werden die bisherigen Zellen mit verschiedenen Lösungen herausgewaschen, bis man ein dezellularisiertes, glasig-durchsichtiges “Geisterorgan” erhält. Das soll dann durch die Eingabe von entsprechenden Gefäßzellen “neu belebt”, in diesem Fall etwa zu einer menschlichen Bauchspeicheldrüse umgebaut werden.
Die Dokumentation “Ein Herz auf Bestellung?”, die Arte am 28. Juni von 23.15 bis 0.10 Uhr ausstrahlt, zeigt neueste Entwicklungen in Sachen “künstliche Organe”. Und natürlich muss man zwischendurch immer wieder mal an die berühmte Geschichte des Doktor “Frankenstein” denken, der nach dem Geheimnis des Lebens sucht.
Hochinteressante ethische Fragen werden aufgeworfen, wenn es um Gedankenspiele wie Organe “on stock”, also gewissermaßen menschliche “Ersatzteillager”, oder um entsprechende Tierversuche geht: So ist man hier live dabei, wenn einem Schaf zu Forschungszwecken ein Kunstherz eingepflanzt wird. Wie weit darf der Einsatz für die menschliche Gesundheit gehen? Wo überschreitet der Mensch womöglich die Grenzen von Moral und Verhältnismäßigkeit?
Derlei Fragestellungen – ebenso wie jene nach der niedrigen Organspendebereitschaft – werden allerdings höchstens gestreift, nicht vertieft – was durchaus schade ist. Doch ist es diesem Film ganz klar um einen nüchternen Überblick zum aktuellen Forschungsstand zu tun, das zeigt er auch auf formaler Ebene: “Ein Herz auf Bestellung” kommt sachlich und ruhig daher; mit einem schnörkellosen Off-Kommentar, dezentem Musikeinsatz und, als einziger Spielerei, gelegentlichen Bildschirmaufteilungen.
Da sind also etwa Igor Sauer und seine Kollegin Eriselda Keshi von der Charité Berlin, die sich von Filmemacher Marcus Fitsch sowohl bei der Transplantation von natürlichen Organen als auch bei der Forschung an künstlich hergestellten Organen begleiten lassen. Da ist der Biologe Minoru Takasato, der im japanischen Kobe menschliche Hautzellen zu Stammzellen “umprogrammiert”, um daraus im Labor sogenannte Organoide herzustellen. Bei der Entwicklung einer “Mini-Niere” etwa ahmen seine Mitarbeiterinnen und er die Ausbildung der Niere bei menschlichen Embryonen nach.
Und da ist die schwedische Firma “Realheart”, die das weltweit erste Kunstherz mit vier Kammern baut. In der EU zugelassen ist bislang allerdings nur das Zwei-Kammern-Kunstherz des französischen Unternehmens Carmat: Mit Nadine Hyseni kommt auch “die erste Frau in Europa mit solch einem Hightech-Kunstherz” zu Wort; im Sommer 2024 war ihr ein solches eingesetzt worden. Traurigerweise ist sie mittlerweile verstorben, nur wenige Wochen vor Ausstrahlung dieses Films. Ein technischer Defekt hatte eine Not-OP zur Folge, ein zweites künstliches Herz wurde ihr eingepflanzt – was sie diesmal nur um wenige Monate überlebte.
Dass es sich beim Forschungsbereich der künstlichen Organe um ein noch im Aufbau, eher am Anfang befindliches Fachgebiet handelt, zeigt die Doku klar und deutlich – auch wenn sie sich zu dem vielleicht etwas zu plakativen Schlusssatz “Die Zukunft ist näher als vermutet!” hinreißen lässt. “Einen langen Weg” habe seine Forschung noch vor sich, sagt Takasoto.
Auch Eriselda Keshi spricht davon, dass ihre Arbeit nur “ein Schritt” sei, andere dann “weitermachen” könnten mit ihren Forschungsergebnissen. Dabei ist aber auch klar: Dass überhaupt so viel geforscht werden muss, liegt daran, dass viel zu wenige Organe gespendet werden. Mit 11,4 Spendern auf eine Million Einwohner ist die Organspendebereitschaft in Deutschland deutlich niedriger als etwa in Spanien, Österreich oder Kroatien. Auch Nadine Hyseni hoffte auf ein Spenderherz: Das Kunstherz war lediglich zur Überbrückung gedacht.