Bei der indigenen Bevölkerung Nordamerikas denken viele immer noch an Tomahawk und Federschmuck. Mit der Realität hat das wenig zu tun. Eine Arte-Doku deckt Mythen über die Indigenen und ihren Sieg am Little Bighorn auf.
Bis zum letzten Atemzug kämpft General Custer tapfer gegen wild heulende “Indianer”, die um ihn herum wüten und seine Kavallerie bis zum letzten Mann niedermetzeln. Dieses ikonische Bild, geprägt durch unzählige Wild-West-Filme, steht für zweierlei: Der edle Wilde mit dem dekorativen Federschmuck auf dem Kopf kämpft gegen einen tragischen Helden, dessen Leben und Mission im Nachhinein stark verklärt wurde.
Die Arte-Doku “Krieg und Show – Die Schlacht am Little Bighorn” sucht nach der Wahrheit hinter dem historischen Ereignis vom 25. Juni 1876. So ganz neu sind derartige Spurensuchen nicht. In ihrem Film lotet Molly Hermann daher das Spannungsfeld zwischen der tatsächlichen Situation der indigenen Bevölkerung und der sich um sie rankenden Legendenbildung aus. Die Autorin, bekannt vor allem durch ihre Historiendokumentationen, erinnert daher zunächst an die vertrackte Situation der Indigenen in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Da die Westküste zu dieser Zeit bereits teilweise besiedelt war, wurde die indigene Bevölkerung aus zwei Richtungen allmählich eingekesselt, vom Pazifik her und von Siedlern, die sich aus Richtung Osten immer mehr breit machten.
Als im Juni 1874 Gold auf jenem Gebiet gefunden wurde, das den Sioux zugesichert worden war, erhielt General Custer, damals bereits ein respektabler Militär, den Auftrag, in einer Strafexpedition jene Angehörige der indigenen Bevölkerung zu vertreiben, die sich nicht in Reservate zurückziehen wollten. Dank gravierender Fehleinschätzungen wurde er mit seinen zahlenmäßig unterlegenen Truppen vernichtend geschlagen.
Darüber wurden bereits zahlreiche Dokumentationen gedreht. In ihrem Film verschiebt Molly Hermann daher den Akzent auf die mediale Vermittlung dieser verlorenen Schlacht: Das Telegrafensystem war nämlich bereits installiert, weshalb Zeitungen landesweit schnell über die unvorstellbare Niederlage des als unbesiegbar geltenden Custer berichteten. Dieses Ereignis, so eine zu Wort kommende Historikerin, rief seinerzeit eine ähnliche Bestürzung hervor wie später die Ermordung von John F. Kennedy.
Da aber weder Custer noch einer seiner Soldaten als Zeitzeugen berichten konnten, was tatsächlich geschah, füllten Zeitungen diese Lücke von Anfang an durch Ausschmückungen: Fake News im Wilden Westen. Neben Custers ehrgeiziger Witwe, die ihren Mann mittels frei erfundener Geschichten zum strahlenden Helden stilisierte, trug insbesondere Buffalo Bill Cody mit seinen massenwirksamen Darbietungen dazu bei, dass Realität und Reality-Show nicht mehr voneinander zu unterscheiden waren. An diesen Shows wirkten obendrein zahlreiche Indigene mit, darunter sogar jener Sitting Bull, der maßgeblich dazu beigetragen hatte, Custer in der Schlacht am Little Bighorn seine große Niederlage beizubringen. Perfiderweise waren einzelne Indigene also selbst Teil der Verballhornung ihrer eigenen Geschichte.
Die Doku erinnert daran, dass das tatsächliche Schicksal der indigenen Bevölkerung im Grunde noch viel trauriger war. Im Zuge des unaufhaltsamen Anpassungsdrucks der weißen Siedler wurden sie immer mehr ihrer Traditionen beraubt. Menschen mit buntem Federschmuck? Die waren schon vor der Assimilierung eher selten. Tatsächlich waren Federn Zeichen eines Würdenträgers. Was zeichnete die Indigenen also wirklich aus?
Erahnbar wird dies unter anderem im Hinblick auf jene faszinierenden Porträts, die die Fotografin Gertrude Käsebier von jenen Sioux-Indianern anfertigte, die an Buffalo Bills “Wild-West-Show” teilnahmen. Regisseurin Hermann formuliert die These, wonach das überzeichnete Bild des Indigenen mit Federschmuck zum Gründungsmythos der US-Kultur gehört. Indigene Menschen verkörpern jenes händeringend gesuchte Alleinstellungsmerkmal, das die transatlantische Kultur von ihren europäischen Wurzeln unterscheidet. Da die Autorin jedoch gerade die Differenz zwischen authentischen Ureinwohnern des 19. Jahrhunderts und ihrer verkitschten Überzeichnung betont, erscheint der ausgiebige Rückgriff auf Nachinszenierungen problematisch, in denen jenes klischeehafte Bild des Indigenen immer wieder aufblitzt, das sie ja eigentlich kritisiert.