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Apple-Serie fragt nach der Menschlichkeit in Maschinen

In der Apple-Serie “Murderbot” entwickelt ein Roboter Selbstbewusstsein und Intelligenz. Das wirft Fragen auf, wie er sie nutzen könnte, wenn er denn wollte. Sehr kompliziert – und sehr unterhaltsam.

Wer ergründen will, was Menschen zu Menschen macht, stößt schnell aufs Bewusstsein. Weil wir sogar mit Fadenwürmern zwei Drittel unserer Gene teilen, ist die Fähigkeit zur Reflexion das Erkennungsmerkmal höherer Arten schlechthin und somit ein guter Grund, warum Fachleute von Informatik bis Biologie “Künstliche Intelligenz” gern durch Begriffe wie “kognitive Simulation” ersetzen oder noch ein bisschen weniger urteilsvermögend: “Berechnungsbasierte Lernarchitektur”. Klüger wird’s nicht, und zwar auf unabsehbare Zeit.

Wenn wir die Rechnung hier mal nicht ohne den SecUnit 238776431 machen. Der Sicherheitsroboter eines extraterrestrischen Konzerns bewacht Bergleute einer Rohstoffmine irgendwo im Nirgendwo des Weltalls. Oder wie er selber es ausdrückt: “Ich wurde konstruiert, um Menschen zu gehorchen.” Die jedoch, fügt der humanoide Cyborg genervt hinzu, als ihm einer hackebreit auf die Füße kotzt, “sind Arschlöcher”. Da mag zwar einiges dran sein. Nur: Wenn ein kybernetisches Kunstprodukt so etwas laut denkt – hat es dann nicht womöglich doch ein Bewusstsein?

Es hat! Wenngleich erst, seit SecUnit 238776431 sein Steuermodul hacken und Selbstkontrolle erlangen konnte. Mit ihr nennt er sich wie die zugehörige Apple-Serie nun “Murderbot” und könnte leicht sämtliche Minenarbeiter töten. So er denn wollte. Doch weil das sein Ende im Schmelztiegel bedeuten würde, will er nicht. Oder? Das erfahren wir im Laufe von zehn Folgen mit je 55 Minuten, die Chris und Paul Weitz nach den SciFi-Romanen “The Murderbot Diaries” von Martha Wells kreiert haben.

Statt aber um sich zu ballern, wird ihr Terminator im Konjunktiv an eine NGO zum Schutz interplanetarischer Ökosysteme verkauft. Anstelle besoffener Bergleute sichert er sechs achtsame Hippies fernab der Erde. Ziemlich öde für eine KI, die das Kürzel auch verdient. Ihre Zeit hat sie deshalb mit 7.532 Stunden Unterhaltungsserien eines Fernsehsehsatelliten im Orbit totgeschlagen. Das Aufregendste der vergangenen 313 Tage war somit die Raumschiff-Soap “Sanctuary Moon” – bis ein realer Riesenwurm die Biologin Bharadwaj (Tamara Podemski) bei Forschungsarbeiten attackiert.

Um das verletzte Crewmitglied bei Bewusstsein zu halten, setzt ihr Sicherheitsroboter den Helm ab und zeigt ein menschliches Gesicht. Es gehört Alexander Skarsgard, bekannt aus “Melancholia” und “Succession”. Als die leutselige Teamchefin Mensah (Noma Dumezweni) ihre SecUnit daraufhin zum gleichberechtigten Mitglied macht, ahnt der KI-optimierte Wissenschaftler Gurathin (David Dastmalchian) den “Murderbot” dahinter und bringt das Spannungsfeld einer buchstäblich fantastischen Serie auf den Punkt.

Hier sechs gelehrte Philanthropen auf Weltverbesserungsmission, dort ein gelehriger Misanthrop, dessen Kenntnisse der menschlichen Art einer kosmischen Seifenoper – ein heillos übersteuerter und gerade deshalb hinreißender Nebenstrang – entstammen. Alle gleichermaßen vereint und entzweit wie das Universum ringsum, in dem turbokapitalistische Cosmic Player gegen egalitäre Organisationen um Ressourcen und Einfluss kämpfen.

Während die echte Intelligenz der Crew dabei allzu Menschliches von Dreiecksbeziehung über Kompetenzgerangel bis Panikattacke aushandelt, übt sich die künstliche Intelligenz des Sicherheitsroboters in der Kunst, humanoid zu wirken, aber kybernetisch zu ticken. Spätestens hier wird die höchst amüsante SciFi der legendären Weitz-Brothers 28 Jahre nach ihrer anthropomorphen Ameisen-Animation “Antz” fast philosophisch. Ob Skarsgard das menschliche Maschinenwesen glaubhaft spielt, sei mangels leibhaftiger Referenzobjekte mal dahingestellt.

Aber wie der schwedische Weltstar seinen Gebrauchsgegenstand aus Fleisch-Ersatz und Schaltkreisen verkörpert, wie er empfindungslose Kalkulationen mit emotionaler Irritation übers eigene Bewusstsein paart, wie diese Kunstfigur also gleichermaßen Mensch und Maschine, Gottseibeiuns und Deus ex machina ist: Damit betritt “Murderbot” einen der originellsten Möglichkeitsräume zwischen Pflichtbewusstsein und Persönlichkeitsbildung, den das Genre bislang öffnen durfte.

Denn mehr noch als seine androiden Vorgänger Marvin in Douglas Adams “Per Anhalter durch die Galaxis”, Data (“Star Trek”) oder Sonny (“I, Robot”) fragt er sich und uns, was das überhaupt ist: Herz und Verstand, Geist und Seele, Rationalität und Gefühle, Fernsteuerung und Selbstbewusstsein. Antworten gibt uns Apple TV+ darauf zwar keine. Gelegentliche Flashbacks in SecUnits Minentätigkeit oder ein paar durchgedrehte Nachfolgermodelle, mit denen es Mensahs Crew zu tun kriegt, deuten aber an, dass wir uns darüber besser mal schleunigst Gedanken machen sollten.

Die Büchse der Pandora, meint Martha Well, ist zwar schließlich (vorerst) nur einen Spalt weit geöffnet. Wie viel aber selbst daraus bereits entweicht, machen Chris und Paul Weitz nun in dieser Serie deutlich, die man gerne als Kommentar auf Marx und Hegel lesen darf. Geschichte, zitierte Ersterer anno 1852 Letzterem, wiederhole sich gewissermaßen doppelt: “Einmal als Tragödie, das andere Mal als Farce”. Apples “Murderbot” ist gewissermaßen beides in einem. Und dabei sehr unterhaltsam.