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Anbieter drücken sich vor Jugendschutz

17.630 Verstöße gegen den Jugendmedienschutz zählte Jugendschutz.net 2024. Weiterhin fehlen klare Alterskontrollen. Politik und Aufsicht fordern nun konsequente Maßnahmen.

Im Jahr 2024 gab es 17.630 dokumentierte Verstöße gegen den Jugendmedienschutz. Das geht aus dem am Dienstag in Berlin vorgestellten Jahresbericht von Jugendschutz.net hervor. In rund 9.700 dieser Fälle wies die gemeinsame Jugendschutz-Einrichtng von Bund, Ländern und Landesmedienanstalten die Anbieter auf die Verstöße hin und forderten deren schnelle Beseitigung. In 99 Prozent der Fälle kamen die Dienste dem nach. In besonders gravierenden Fällen wie etwa sexualisierter Gewalt schaltete die Organisation auch Strafverfolgungsbehörden ein.

Gerade weil es aber immer noch keine durchgehende Altersverifikation gebe, hätten alle Schutzkonzepte eine “zentrale Fehlstelle”, so der Leiter von Jugendschutz.net, Stefan Glaser. Auch bei der schnellen Abhilfe bei Verstößen gebe es für die Betreiber “noch jede Menge zu tun”. Massiven Handlungsbedarf sieht auch die neue Bundesjugendministerin Karin Prien (CDU). Man sei noch sehr weit davon entfernt, “Kindern und Jugendlichen eine sichere und unbeschwerte Teilhabe an der digitalen Welt zu ermöglichen”.

Es sei “erschütternd, dass immer mehr radikale Kräfte den Weg in die Feeds von Kindern und Jugendlichen suchen und finden”, so Prien. Dabei müssten Politik, Aufsicht und Regulierer bei ihren Maßnahmen “stärker von den Kindern und Jugendlichen her denken”, forderte die Ministerin. Die Bundesregierung werde auch im Rahmen der Umsetzung des Digital Services Act der EU gemeinsam mit den Ländern eine Strategie für die digitale Sicherheit und Teilhabe von Kindern und Jugendlichen aufsetzen. Dabei geht es nicht um ein weiteres theoretisches Papier, sondern um praxisrelevante Maßnahmen.

Der Vorsitzende der Kommission für Jugendmedienschutz der Landesmedienanstalten, Marc Jan Eumann, begrüßte, dass die Politik nun stärker Diensteanbieter und Plattformbetreiber ins Visier nehme. Die Anbieter würden ihrer Verantwortung nicht gerecht, so Eumann. Technische Möglichkeiten für eine zuverlässige Altersverifikation und -einschätzung gebe es Dutzende. Allerdings gibt es vor allem von Seiten der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft durchaus Kritik an bestehenden Systemen, unter anderem wegen ihrer Auswirkungen auf Datenschutz und Teilhabe.

“Die Plattformen drücken sich davor, diese Systeme einzuführen, und werfen weiter Nebelkerzen, weil dies ihre Geschäftsmodelle gefährden würde”, kritisiert Eumann weiter. Die Anbieter hätten “ihre faire Chance” gehabt, selbst Lösungen anzubieten, diese aber nicht genutzt: “Jetzt handelt die Politik”, so Eumann, der auch Direktor der Landesmedienanstalt Rheinland-Pfalz ist.

Prien äußerte sich auch besorgt über die Zeit, die Kinder und Jugendliche in Deutschland vor dem Bildschirm und besonders am Smartphone verbringen. Hier liege Deutschland bei den unter 15-Jährigen im Vergleich mit anderen OSZE-Staaten in der Spitzengruppe. Die Ministerin forderte mehr Forschung zu den Folgen solch hoher Bildschirmzeiten und verwies auf Erfahrungen aus Schleswig-Holstein, wo Schulen strikte Regeln zur privaten Smartphone-Nutzung erlassen können.

Dies sei nicht nur binnen kürzester Zeit umgesetzt worden; es sei auch ein “produktiver Dialog mit den Eltern entstanden, der zu einer deutlichen Steigerung des Problembewusstseins geführt habe”, sagte Prien, die vor ihrem Wechsel in die Bundesregierung seit 2017 Bildungsministerin in Kiel war. Hierbei gehe es nicht um ein grundsätzliches Handy-Verbot, so Prien, sondern um altersgerechte Nutzung.