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Anarchisch und spontan

Oben auf dem Bild wetteifern Strichmännchen im Tauziehen gegeneinander. Unten steckt ein Feuerzeug in einem riesigen, realistisch gemalten Brötchen. Dem Werk aus der zwölfteiligen Serie „Lieber Maler, male mir“ von Martin Kippenberger (1953-1997) liegt ein provokantes Konzept zugrunde: Der Installations- und Performancekünstler schuf es nicht selbst, sondern beauftragte einen Plakatmaler damit, seine Motive auf zwei mal drei Meter große Leinwände zu bringen. Anschließend stellte er sie unter seinem eigenen Namen aus – und verabschiedete sich damit vom traditionellen Künstlerbegriff. Das Bild ist seit Sonntag in einer Ausstellung zu Kunst der 1980er und 1990er Jahre im Museum Peter August Böckstiegel in Werther zu sehen.

Die Sonderschau „Gastspiel“ bis 1. Februar 2026 gibt einen Einblick in eine Zeit, in der westdeutsche Maler sich mit beißender Ironie, aber auch mit Witz als Rebellen empfanden und inszenierten. Die rund 50 überwiegend großformatigen Gemälden und Skulpturen stammen aus der Sammlung Grässlin mit Sitz in St. Georgen im Schwarzwald.

Kippenberger gehörte gemeinsam mit Albert Oehlen und dessen Bruder Markus, Werner Büttner, Günther Förg, Georg Herold und Meuser zu einem Hamburger Kreis von Künstlern, die in den 1980er Jahren mit Etiketten wie „Junge Wilde“ oder „Neo-Expressionisten“ versehen wurden. Sie galten als anarchisch, experimentierfreudig und spontan. Sie liebten Tabubrüche im gesellschaftlichen, politischen und sexuellen Bereich und eckten mit bewusst schludrig gemalten Bildern und banalen Alltagsthemen an. „’Bad painting’ als Ausdruck der fiesen Wirklichkeit“, beschrieb es Büttner mal.

Zu vielen der Hamburger Künstler pflegte die Unternehmer- und Sammlerfamilie Grässlin früh persönliche Kontakte. Der alkoholkranke Kippenberger, der nur 44 Jahre alt wurde, fand in ihrem Haus im Schwarzwald über Jahre hinweg einen Rückzugsort. So wurden die Grässlins zu einer Art Ersatzfamilie für die Maler, deren Kunst sie sammelten. Es entstand eine der größten Sammlungen ihrer Art in Deutschland. „Es ist eine tolle Möglichkeit, dass wir mit Werken aus dieser Sammlung erstmals noch lebende Künstler in unseren Räumen ausstellen können“, sagte David Riedel, der künstlerische Leiter des Böckstiegel-Museums, im Vorfeld der Schau. Der moderne, mit Natursteinen umgekleidete Bau in Werther-Arrode bewahrt das Erbe des westfälischen Expressionisten Peter A. Böckstiegel (1889-1951).

In den 80ern suchten die Hamburger Künstlerfreunde nach Möglichkeiten, die damals totgesagte traditionelle figurative Malerei in Porträts, Landschaften und Interieurs neu zu beleben. Da ist zum Beispiel Büttners Werk „Kaspar Hauser-Enten folgen einer Attrappe“ aus dem Jahr 1981. Es zeigt vor einem schlammig-grünen, mit groben Pinselstrichen gemalten Hintergrund eine Schar von Entenküken, die einem Karton als Muttertier folgen. „Bei den fluffigen, fast kitschigen Küken hat der Maler sich richtig Mühe gegeben, während der Rest des Bildes wie flüchtig hingeworfen wirkt“, erklärt Riedel.

Das sei Malen als Herausforderung im künstlerischen wie im politischen Sinn, sagt er weiter. Das Bild könne als Kritik an der blinden Gefolgschaft der Massen gedeutet werden – während der nationalsozialistischen Diktatur oder auch in der westdeutschen Wohlstandsgesellschaft der 1980er Jahre.

Wie die Künstler immer wieder Grenzen der Malerei austesteten, zeigt zudem das großformatige Werk „Salon“ von Albert Oehlen (2004). Statt auf Leinwand ist es auf zusammengefügte Bahnen eines Planen-Stoffes gemalt. Das obere rechte Viertel wird von einem Stück Lkw-Plane mit dem Foto einer Topfpalme eingenommen, deren gemalte Version ist wie ein Spiegelbild auf der linken Seite zu sehen. Dazwischen befindet sich eine zerfließende, surreale menschliche Gestalt. „Eine Reminiszenz an Oehlens Vorbild Salvadore Dali“, erläutert Riedel.

Dass nicht alle aus der Hamburger Gruppe figurativ malten, wird auf einem Gemälde von Günther Förg deutlich, das zu einer Serie von „Gitterbildern“ gehört. Auf schwarzen Grund hat der Künstler weiße Kreide- und Farbstriche gruppiert, die einen abstrakten, flimmernden Raum entstehen lassen. In der Ausstellung korrespondiert das Werk mit einer fast wandhohen Fotografie Förgs, die den spartanischen Innenraum des Hauses Lange von Mies van der Rohe in Krefeld zeigt.

Für Besucherinnen und Besucher, die tiefer in die Materie eintauchen wollen, gibt es ein Veranstaltungsprogramm mit Kuratorenführungen, Workshops oder einer Lesung mit Texten von Kippenberger zur Pubertät. Im Museumskino läuft am 29. Oktober „Kippenberger – Der Film“ (2005), der Einblick in das Leben des gebürtigen Dortmunders und Künstlers der Postmoderne gibt.