Artikel teilen:

Amazons Räuberpistole “Deep Cover” begeistert mit Selbstironie

In der Amazon-Prime-Komödie “Deep Cover” arbeiten drei Impro-Künstler als Polizei-Ermittler. Das ist vor allem dank Orlando Bloom sehr amüsant. Und erklärt das Genre, in dem er spielt.

Das englische Wort Overacting lässt sich nicht perfekt ins Deutsche übersetzen. Wer Orlando Bloom im Prime-Thriller “Deep Cover” dabei beobachtet, sich für jemand anderen auszugeben, versteht es allerdings auch so ganz gut. “Ich lief mit fünf von zuhause weg”, erzählt seine Filmfigur Marlon sinngemäß einem Gangsterboss mit viel zu dick aufgetragener Scarface-Mimik im Scarface-Outfit, “wurde Stalljunge in Zürich, Vernichtungsbeauftragter meines Bauern und zerstörte die Scheunen seiner Konkurrenten”.

Marlons biografische Tarnung ist sprachlich, äußerlich, inhaltlich also derartig drüber, dass dem abgebrühten Koks-Baron Fly (Paddy Considine) eigentlich laute Zweifel am Wahrheitsgehalt dieser theatralischen Einlage weit unter dem Niveau drittklassiger Bahnhofskinostreifen der Siebziger kommen müssten. Aber wie schreibt Regisseur Tom Kingsley wenige Minuten zuvor bereits im Vorspann: “Impro-Comedy ist wie eine Schlacht. Wenn du töten willst, musst du bereit sein, zu sterben.” Und Marvin ist zwar dazu bereit, aber alles andere als vorbereitet.

Genau darum aber geht es dieser Filmkomödie in der Filmkomödie in der Filmkomödie, die ab sofort bei Amazon Prime zu sehen ist. Nach einer großartigen Idee von Derek Connolly und Colin Trevorrow (“Saturday Night Live”), die sie gemeinsam mit Ben Ashenden und Alexander Owen, besser bekannt als Comedy-Duo “The Pin”, verfasst haben, spielt Orlando Bloom rund 20 Jahre nach seiner Glanzzeit im Rampenlicht von “Fluch der Karibik” und “Herr der Ringe” ein gescheitertes Nachtschattengewächs kleiner Bühnen, das hoch hinauswill, aber nicht kommt.

Anstatt vor der Kamera gewichtiger Hollywood-Produktionen, landet Marvin nämlich im Schauspielkursus von Kat (Bryce Dallas Howard). Die Improvisationskomikerin fühlt sich zwar ebenfalls zu Höherem berufen; doch weil sie seit mehr als zehn Jahren erfolglos am ersten Soloprogramm schreibt, versucht sie stattdessen, Schülern wie dem rückgratlosen Buchhalter Hugh (Nick Mohammed) das nötige Selbstbewusstsein für Theaterauftritte beizubringen. Brotlose Kunst, so zeigt sich zügig. Bis ihnen jemand Arbeit anbietet. Dummerweise ist es kein Filmagent, sondern nur Detective Inspector Billings (Sean Bean), der die drei als Spitzel für eine Geheimoperation verpflichten will.

Seine Theorie: Impro-Comedy eignet sich perfekt dazu, auf unvorhergesehene Situationen bei verdeckten Ermittlungen zu reagieren, ohne die eigene Tarnung auffliegen zu lassen. Er soll Recht behalten. Weil Marlon, Kat und Hugh beim ersten Auftrag im kleinkriminellen Milieu geschmuggelter Zigaretten irgendwie glaubhaft overacten, gerät das Trio ins großkriminelle Koks-Milieu – und damit vom Regen in die Traufe. Denn je mehr es sich in seine Charaktere verbeißt, desto interessanter werden sie nicht nur für skrupellose Banditen wie Metcalfe (Ian McShane). Auch die Polizei kriegt Wind vom rätselhaften Aufstieg der Neulinge.

Und so machen bald hochgerüstete Profis beiderseits des Gesetzes Jagd auf die Laiendarsteller, die buchstäblich nur spielen wollen. Das aber machen sie nicht nur innerhalb der fiktionalen Geschichte fabelhaft. “Deep Cover” überzeugt auch durch ein Personal, dass den Spagat vollführt, overzuacten, ohne overzuacten.

Nebenbei erfährt man aber auch einiges über die Tretmühle Live-Comedy, einer humoristischen Königsdisziplin, die hierzulande in der “Schillerstraße” Beachtung erfuhr, als Sat.1 noch ein ordentlicher Fernsehsender war. Heute ist es vor allem der Ensemble-Dirigent Jan Georg Schütte, dessen Ensemble-Improvisationen von “Altersglühen” über “Wellness für Paare” bis zuletzt “Das Begräbnis” TV- und Filmpreise erntet wie gute Comedy Lacher. Schließlich ist die Fallhöhe nirgendwo größer als im Bereich ungescripteter Fiktion.

Dass “Deep Cover” auf detaillierten Drehbüchern beruht, ändert nichts daran, wie gut Tom Kingsley mit seinen vier Autoren arbeitet. Und der Mut zur Reduktion sorgt dafür, dass die Räuberpistole in aller Kürze grandioses Entertainment liefert. Selten war Übertreibung unterhaltsamer.