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“Alten Menschen tut es gut, wenn sie Aufgaben haben”

Ältere Ordensleute gehen nicht in Rente: Sie bringen sich weiter ein, so wie es kräftemäßig geht. Nach Ansicht von Ruth Mächler, Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Spiritual Care und psychosomatische Gesundheit der Technischen Universität München, könnte die Gesellschaft von einem solchen Umgang mit Senioren lernen. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) verrät sie einige Weisheiten, die sie bei ihren Gesprächen mit Ordensleuten erfahren hat.

epd: Frau Mächler, Sie haben ein Gutachten über Jesuiten und alte Schwestern eines weiteren Ordens erstellt und darin untersucht, wie es Seniorinnen und Senioren im Orden geht. Diese Erkenntnisse sind auch in Ihr neues Buch „Freiheit und Vertrauen. Von alten Ordensleuten lernen“ eingeflossen. Was waren besondere Erkenntnisse?

Ruth Mächler: Für unsere Gesellschaft scheint mir besonders inspirierend, wie mit dem ganzen Thema Arbeit im Alter umgegangen wird. Diese Menschen gehen nicht in Rente, sondern sie arbeiten in jeder Lebensphase so, wie es ihren Möglichkeiten entspricht. Es wird viel in Bildung investiert, nicht nur am Anfang, sondern auch in Weiterbildung und Umschulungen, sodass die Leute flexibel einsetzbar sind. Wenn die Kräfte schwinden, arbeiten sie eben weniger oder sie wirken im Hintergrund. Sie besuchen andere, die noch älter sind, schreiben, oder helfen den Jüngeren. Mir hat das gut gefallen. Unsere Gesellschaft braucht ja auch die Fähigkeiten und das Engagement der Senioren. Und alten Menschen tut es gut, wenn sie Aufgaben haben. Ich wünsche mir, dass wir da von den Orden lernen.

epd: Gab es Personen, die im Nachhinein die Entscheidung, ehelos zu leben und ihr Leben Gott zu weihen, bereut haben?

Mächler: Es gab viele, die irgendwann in ihrem Leben sehr damit gerungen haben. Manche haben mir ausführlich von solchen Krisen erzählt und darüber, wie sie da hindurchgegangen sind und was ihnen in dieser Zeit geholfen hat. Besonders beeindruckt hat mich eine Frau, die mir von der Liebe zu einem Mann erzählt hat. Sie hat sich dann ihrer Vorgesetzten anvertraut und diese hat ihr bewusst Möglichkeiten gegeben, den Mann zu treffen, damit sie zu einer Entscheidung finden konnte. Das hat mich überrascht. Sie hat sich dann fürs Bleiben entschieden und wirkte auf mich fröhlich und zufrieden.

Ein Jesuit erzählte mir, dass er in einer schweren Berufungskrise nach Hause gefahren ist, um all seine alten Tagebücher durchzulesen. Danach wusste er wieder, warum er ursprünglich in den Orden gegangen ist und hat sich entschieden, weiterzumachen, aber seine Haltung zu ändern.

epd: Haben Sie auch einige „Weisheiten“ dieser Menschen erfahren, die Sie teilen können?

Mächler: Ein schönes Beispiel ist das eines alten Ordensmannes, der sich bewusst auf eine Zeit der Krankheit und des Sterbens vorbereitet, indem er schon jetzt immer wieder ein bestimmtes Gebet spricht: „Lieber Gott, ich gehe mit, wohin du mich führst und ich bin zufrieden damit.“ So übt er schon einmal eine Haltung der Akzeptanz ein und ich denke, dass das sehr weise ist. Weise erscheint es mir auch, einen Tagesrückblick zu halten oder auch, in der Fürbitte, dem Gebet für andere, von den eigenen Sorgen wegzukommen. Das sind ganz praktische Dinge, die auch im Buch vorkommen – aber ganz oft liegt die Weisheit eben in der Geschichte. Das ist das Besondere, wenn Menschen einem ihre ganze Lebensgeschichte erzählen – man darf eintauchen in ein gelebtes Leben und so von den Erfahrungen dieses Menschen lernen. (1183/05.04.2025)