Manchmal ging Mutter übers Feld. Sie war plötzlich weg. Ein oder zwei Stunden. Dann war sie wieder zurück. Aber dazwischen, da war sie einfach verschwunden. Ich habe nie begriffen, was Mutter da machte. Meist war das am Sonntagmorgen, buchstäblich in aller Herrgottsfrühe und noch vor dem Gottesdienst. Wenn sie wieder zuhause war, das Frühstück für uns Kinder richtete und sich dann für den Kirchgang fertigmachte, schien Mutter ganz ruhig und ausgeglichen zu sein. Das war sie sonst nicht immer. Sie hatte ein hartes Leben, wie so viele; damals, in der Nachkriegszeit in der Zechensiedlung im Ruhrgebiet.
Neulich bin ich selbst übers Feld gegangen. Einfach so, ohne irgendeine andere Absicht, als … naja, halt: rauszugehen.
Und da verstand ich plötzlich. Mein Blick fiel auf die Stadt. 40 Jahre haben Bäume höher wachsen lassen, aus Büschen und Gehölzen mögen Wälder geworden sein. Eine Überlandleitung ist dazu gekommen. Und trotzdem: Da waren sie. Die beiden Kirchtürme. Die Autobahn. Die Siedlung auf beiden Seiten, mit all den Häusern, in denen sich Leben abspielt, Schicksale, Dramen. Leid und Freude.
Es war wohl dieser Blick von außen, der meine Mutter hinauszog. Mal Abstand gewinnen. Die Dinge aus der Distanz betrachten – manchmal sehen sie dann nicht mehr so groß und bedrohlich aus.
Mutter ist inzwischen lange schon im Himmel. Sie schaut sich die Dinge von ganz oben an. Und wenn ich sie hören könnte, vielleicht würde sie mir dann zuflüstern: Siehst du? Manchmal musst du einfach raus. Nimm dir ein Sitzkissen mit. Ein Butterbrot. Und schau hin. Wenn du zurückkehrst, ist manches gar nicht mehr so schlimm.