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2,4 Milliarden Euro für individuelle Zusatzleistungen beim Arzt

Eine erhebliche Zahl an Vorsorgeuntersuchungen bezahlen die Kassen nicht. Daher greifen Versicherte für individuelle Gesundheitsleistungen ins private Portemonnaie. Dabei gelten viele Untersuchungen als sinnlos.

Oft fragt die Sprechstundenhilfe beim Gynäkologen bereits bei der Begrüßung, ob eine individuelle Gesundheitsleistung gewünscht sei. Als Teil der regulären Vorsorge, so die Begründung. Gesetzlich Versicherte geben einer Erhebung und Hochrechnung zufolge bis zu 2,4 Milliarden Euro im Jahr aus für sogenannte individuelle Gesundheitsleistungen, kurz IGeL. Das ist das Ergebnis des am Dienstag vorgestellten IGeL-Report des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen. Zu den Extraleistungen zählen gynäkologische Untersuchungen wie ein Ultraschall der Gebärmutter und Eierstöcke oder Augen-Laser-Operationen.

Allein in diesen beiden Fachbereichen schätzt der Bericht die Umsätze auf je rund 500 Millionen Euro. Aber auch in der Allgemeinmedizin, etwa für Vitamin-D-Präparate, oder in der Orthopädie, etwa für eine Stoßwellentherapie, gibt es hohe Umsätze durch Selbstzahlerleistungen. “Der bedrückende Befund ist, dass Patientinnen und Patienten aus Unwissenheit und Sorge um ihre Gesundheit große Summen für fragwürdige und sogar schädliche Leistungen ausgeben”, kommentierte der Vorstandsvorsitzende des Medizinischen Dienstes Bund, Stefan Gronemeyer, die Ergebnisse.

So bewerte etwa der Monitor, der individuelle Gesundheitsleistungen seit zehn Jahren evidenzbasiert auf Schaden und Nutzen untersucht, den Ultraschall der Gebärmutter und Eierstöcke als “tendenziell negativ” oder sogar “negativ”. Es gebe zu viele falsch-positiv Ergebnisse, dadurch unnötige Eingriffe, obwohl unklar sei, ob das Risiko an Eierstockkrebs zu sterben, verringert werden könne.

In dem Monitor werden derzeit 54 sogenannte IGeL-Leistungen bewertet. Die Mehrheit, 30 an der Zahl, sind aus Sicht der Wissenschaftler “tendenziell negativ” oder “negativ”. Weiter 23 sind mit Blick auf ihren Nutzen bei entsprechenden Kosten “unklar”. Drei Leistungen gelten als “tendenziell positiv”.

Aus Sicht des Medizinischen Dienstes Bund ist ein Hauptproblem fehlende Aufklärung. Frauen nutzen die Selbstzahlerleistungen deutlich häufiger und Menschen mit höherem Einkommen beziehungsweise Schulbildung ebenfalls. In der Befragung des Medizinischen Dienstes gab nur jeder Vierte an, gut informiert zu sein. Zwei von drei Befragten nahmen zudem an, Selbstzahlerleistungen seien medizinisch notwendige Leistungen.

In der repräsentativen forsa-Befragung wurden 2.013 gesetzlich Krankenversicherte im Alter von 18 bis 80 Jahren online befragt. Über 80 Prozent der Befragten konnten sich an konkrete Leistungen und Kosten erinnern. Beim Rest wurden die Kosten geschätzt. Die Ergebnisse wurden auf die Gesamtzahl der gesetzlich Versicherten im Alter von 18 bis 80 Jahren, insgesamt 57 Millionen, hochgerechnet.

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz forderte eine klare gesetzliche Regelung zu den individuellen Gesundheitsleistungen. “Selbst Menschen mit geringem Einkommen werden von Ärzten zu diesen Sonderleistungen gedrängt”, beklagte Vorstand Eugen Brysch gegenüber der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Was für Haustürgeschäfte gelte, müsse auch für diese Leistungen greifen. Zwischen Angebot des Arztes und Erbringen der Leistung sollte es eine Bedenkzeit von zwei Wochen geben. “Wird die Frist nicht eingehalten, kann der Patient die Zahlung verweigern”, so Brysch.

Aus Sicht der AOK geht der Anstieg der Selbstzahler-Leistungen bei bestehendem Facharztmangel auf Kosten der regulären Versorgung. “Wenn ein Facharzt seine Zeit mit Schönheitsbehandlungen oder fragwürdigen Vorsorgeuntersuchungen ohne wissenschaftlich belegbaren Nutzen verbringt, fehlen eben Kapazitäten für die vertragsärztliche Versorgung”, sagte die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbands, Carola Reimann.