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1000 Wege in die Zukunft

Jugend ist immer anders. Und das muss auch so sein. Selbst, wenn das anstrengend und herausfordernd sein kann – und wir Älteren dann Nerven wie Drahtseile brauchen

Der junge Mann hat die Nase voll. Zuhause ist es eng und muffig. Der Vater nervt: „Tu dies!“ „Lass das!“ Dann lieber raus. Da draußen wartet eine ganze Welt auf ihn. Sonne, Party, Mädels, gute Laune! Also: ein paar Klamotten in den Rucksack geworfen. Und auf und davon – Richtung Süden. Ich bin dann mal weg.
Ich liebe diese Geschichte. „Aus dem Leben eines Taugenichts“ von Joseph Freiherr von Eichendorff. Viele Jahre sah ich mich in der Rolle des Taugenichts. Weg vom Alten, Langweiligen, Verstaubten. Wohin? Egal. Einen eigenen Weg finden.
Wenn ich mir heute die Jugend anschaue, sehe ich: Ich bin längst in der Rolle des alten Vaters angekommen. Was machen die jungen Leute da nur? Da sitzen sie, die „Couchpotatoes“: Kinder und Jugendliche, die – wenn man sie ließe – den ganzen Tag auf dem Sofa hocken würden. Videos gucken. Am Computer daddeln. Wo bleibt das Engagement? Die Lust auf Action, auf Rebellion?
Junge Menschen haben heute immer mehr Möglichkeiten. Sie können reisen, in Musikschulen und Sportvereine gehen; verfügen über technisches Equipment, das vor 40 Jahren wie Science-Fiction angemutet hätte. Jedes Jahr gibt es neue Studiengänge an den Universitäten. Sexuelle Identitäten und Orientierungen sind nahezu beliebig austauschbar geworden. Bin ich ein Junge? Ein Mädchen? Lesbisch? Hetero? Schwul? Schon für 13-Jährige sind das alltägliche Fragen. Alles ist möglich – zumindest gefühlt.
Aber genau das ist das Problem: Mit der schieren Fülle droht die Überforderung. 1000 Wege – welchen soll ich denn jetzt wählen?
Mit der Folge, dass junge Menschen immer später selbstständig werden (siehe Seite 12). Sie bleiben länger zu Hause wohnen. Sie quatschen per Smartphone, statt sich auf dem Spielplatz zu treffen. Sie bleiben im Nest, statt sich der Welt zu stellen. Für Ältere ist das manchmal zum Haareraufen.
Aber: Ist das alles wirklich schlimmer als früher?
Nein. Es ist einfach nur anders.
Auch unsere Eltern und Großeltern schüttelten die Köpfe über uns. Auch sie konnten nicht verstehen, wie wir sprachen, welche Klamotten wir trugen, welche Musik wir hörten.
Vielleicht tut es gut, sich gerade jetzt wieder daran zu erinnern: Wenn die Konfirmationen anstehen. Noch immer markiert diese Phase den Übergang vom Kindsein in die Welt der Erwachsenen – wenn auch zu  inzwischen völlig veränderten Bedingungen. Aber grundsätzlich gilt noch immer: Wer mit Menschen im Alter von zwölf bis 16 zu tun hat, steht vor großen Herausforderungen – umso größer, je weiter man im Lebensalter von ihnen entfernt ist.
Das ist eine notwendige und verdienstvolle Arbeit, wie sie gerade auch die Kirche leistet. Jugend muss einen eigenen Weg finden. Das ist wie ein Naturgesetz. Sie muss befähigt werden. Braucht Orientierung. Vorbilder. Und wir Älteren Nerven wie Drahtseile.
Vielleicht verschenke ich dieses Jahr den „Taugenichts“ zur Konfirmation. An die Pfarrerin. Als Dank für ihre Arbeit.