„Wie sieht die Erde aus?“, hat Tilman Reinecke seinen Vater einst gefragt, als er ein kleiner Junge war. „Er nahm zwei Bälle“, erinnert sich der inzwischen im Ruhestand lebende Pastor: „wohl bemerkt zwei“. Der Vater, wie beide Großväter ebenfalls Pastor, zeigte dem Jungen, wie sich die Erde um die Sonne dreht. „So ging es los“, beschreibt Reinecke sein Interesse für Astronomie, Physik und Technik.
Dennoch zog es ihn, als er mit 15 Jahren den Vater verlor, zur Theologie. Seither bewegt sich sein Leben im Spannungsfeld zwischen wissenschaftlicher Welterkenntnis und Schöpfungsglauben: „Das ist aber kein Gegensatz“, wie er findet.
„Achte darauf, dass du den Glauben durch die Wissenschaft nicht verlierst“, erinnert er die Worte seiner Mutter. Nicht nötig, fand der junge Reinecke. Mit dem Staunen, wie viel mehr es da draußen im Universum gibt, als wir erfassen können, mit der Kenntnis jedes neuen physikalischen Gesetzes wurde ihm deutlicher, wie lückenhaft menschliches Wissen ist. „Eine Liedzeile bringt es schön auf den Punkt: ‘Weißt du, wie viel Sternlein stehen?’ Wie klein wir sind. Wie groß die Schöpfung“, sagt Reinecke.
Aus Psalm 8 wurde „Wir reichen an Gott nicht heran“ für ihn zu etwas Tragendem. „Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast: Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst?“ Immer wieder empfinde er angesichts dessen Demut und Staunen. „Durch die Wissenschaft wird das Wunder immer größer“, sagt der Pastor.
Praktische Umsetzung findet seine Leidenschaft bis heute bei den Führungen in der Greifswalder Sternwarte. Tilman Reinecke und andere Mitglieder des Sternwartenvereins zeigen dort immer am ersten und dritten Donnerstag jeden Monats den Nachthimmel.
Staunend können die Gäste dann die Kraft und die Geschick erfordernde Handhabung der historischen Technik unter der Kuppel des Backsteinturms verfolgen. Wie die Vereinsmitglieder die beiden Fernrohre des eine Tonne schweren Carl-Zeiss-Doppelteleskops dirigieren – wie zu einer Sternensinfonie. Wie sich knarzend die Rolltore im Dach öffnen, bis schließlich Freiwillige mit drücken und schieben dürfen, wenn das komplette Dach der Sechs-Meter-Durchmesser-Kuppel gedreht werden muss. So, dass die Lücke über dem Fernrohr steht und der Blick auf Sternenhaufen und Galaxien, auf Sternennebel, Mond oder Sonne frei wird.
„Ein faszinierender Moment“, weiß Reinecke, der dieses Empfinden auch bei den Gästen immer wieder wahrnimmt. Einerseits wegen des hart erarbeiteten Blicks durch das Rohr in die unermessliche Ferne, andererseits aus Faszination über das Funktionieren dieser ausgeklügelten Technik, die noch ohne jede Elektrizität auskommt. „Einer 100 Jahre alten Technik“, betont er.
Am 12. Juli feiert der Verein das Jubiläum der Erstinbetriebnahme der Greifswalder Sternwartenkuppel am damaligen Physikalischen Institut. Zum 100. Geburtstag ist das weltweit einzige Carl-Zeiss-Doppelteleskop für 170.000 Euro komplett restauriert worden. Zu einem öffentlichen Sommerfest sind dann am 17. August alle Sternen-Interessierten eingeladen. Die nächste Führung mit Blick in den Himmel gibt es aber bereits am 18. Juli um 22 Uhr.