Greifswald. Er ist ein Moor-Fan auf der ganzen Linie – und seine Begeisterung wirkt ansteckend. Professor Hans Joosten (63) ist Moorkundler am „Greifswald Moor Centrum“ (siehe Seite 16). Doch genauso gern, wie er nassen schweren Torf zwischen seinen Fingern spürt, hält er zwischen ihnen leichte Buchseiten fest. Und der Himmel auf Erden ist, wenn alles zusammen kommt, wenn es auf diesen Buchseiten um Moore geht – Fachbücher oder Bildbände, Kunstatlanten oder Krimis.
Seiner Initiative ist es zu verdanken, dass eine ganze Bibliothek aus Buchstaben, Zahlen und Bildern rund ums Moor in Greifswald entstanden ist: die „Peatland and Nature Conservation International Library“, kurz PeNCIL – oder einfach Greifswalder Moorbibliothek. Für sein erstes Moorbuch, sagt er, verkaufte er als Student die Briefmarkensammlung. Jetzt ist daraus Deutschlands größte Spezialsammlung geworden, mit 25 000 Publikationen, unterstützt von Plettner-Stiftung und Bildungsministerium MV.
Und da Joosten ein Mensch ist, der Wissen und Faszination gern teilt, entstand die Idee zu einer Reihe von Literaturabenden anhand passender Bücher, kombiniert mit seinem Wissensschatz. Monatlich lädt er in das große Bibliothekszimmer der alten Villa in der Ellernholzstraße. „Kartoffeln und Krimis“ heißt die aktuelle Lesereihe, eine nächste folgt im nächsten Wintersemester. „Die Moorsoldaten“ stehen heute auf dem Programm. Über die Entstehung eines Liedes und Geschichten ringsherum. Der Niederländer Hans Joosten ist voll in seinem Element, zieht Querverbindungen, liefert im charmanten Akzent Einschübe aus Politik, Kunst und Wissenschaft.
Eine Zeitreise
Die literarische Reise geht ins Emsland. Zurück in die 1930er: eine Zeit, schwarz wie das Moor. Dort entstand 1934 das Konzentrationslager Börgermoor in der Nähe von Esterwege als eines von 13 KZs des Emslandes. „Es war nicht als Vernichtungslager konzipiert“, sagt Joosten. Feinde des Nazi-Systems wurden dort „konzentriert“ : Kreative, politisch Bewusste. Auch Regisseur Wolfgang Langhoff, später Intendant des Deutschen Theaters in Ost-Berlin.
In den Kellern der SS gefoltert, hörten er und Mithäftlinge von dem Lager in der Heide. „Unverbesserliche sollten dort das Moor kultivieren“, schreibt er in seinem autobiografischen Bericht „Die Moorsoldaten. 13 Monate Konzentrationslager“, aus dem Joosten vorliest. „Wir fragten uns, ob wir unsere Frauen mitnehmen dürften“, schreibt er. Gegenüber den Folterkellern, in denen Langhoff die Zähne herausgeschlagen wurden, stellten sie sich das Leben dort als ländliche Idylle vor. „Und im Vergleich zu den später entstandenen Vernichtungslagern wie Ausschwitz war es das vielleicht ja sogar“, ergänzt Joosten.
Mit dem zweiten Zug à 480 Mann erreicht Langhoff die Heide. Barfuß, von Aufsehern schikaniert, von Gewehrkolben, vorangetrieben. Zu Hundert beziehen sie die Baracken, Misshandlungen werden Alltag. Und die Schwerstarbeit im trostlosen Moor, in das sie täglich mit dem Spaten ziehen.
Langhoff beschreibt die Solidarität der Häftlinge untereinander. Und eine ganz irrsinnig ungewöhnliche Idee, die von der Lagerleitung genehmigt wurde: eine Vorstellung des selbst erfundenen „Zirkus Konzentrazani“, von und für Häftlinge sowie Aufseher.
„Es war erstaunlich, was wir alles zusammenbekommen haben“, schreibt er. Unter den Insassen befanden sich Jongleure und Clowns, Balletttänzer und Akrobaten, Keulenschläger und Tierimitatoren. Nach der Arbeit probten die Häftlinge, ehrgeizig, voller Freude und mit selbst gebauten Instrumenten und Kostümen.
Das große Finale
Vor der Premiere herrschte Riesenaufregung. 20 Häftlinge platzierten die 900 Insassen, Wächter und Kommandanten, letztere „gegen die Sonne“. Detailliert beschreibt er die einzelnen Nummern: torfschwarz gefärbte Araber als Turner-Pyramide, den Clown, der Moorstücke als Schokoeis anbot, die Schrammelkapelle, die imaginäre Tierschau, in der Kamele gezeigt wurden, „die hier ja zur Genüge vorhanden sind“. „Die Aufseher lachten überrumpelt mit.“ Zum Gelächter aller folgte das „Moorballett“ mit den fünf Dicksten, die eine große Choreografie mit Perücken aus Holzspänen vorführten und Büstenhaltern aus Torfblöcken. „Wir hatten es gewagt, für eine Stunde unsere eigenen Herren zu sein.“
Und dann kam das Finale des großen Zirkusabends „Konzentrazani“: Das Lied der Moorsoldaten, dessen Text Bergmann Johann Esser und Regisseur Langhoff gedichtet hatten, mit der Musik von dem Mitinsassen Rudi Goguel. Anfangs sang nur der Lagerchor: „ihre Blicke […] über den Stacheldraht hinweg in die Heide gerichtet“, beschreibt Langhoff. „Wohin auch das Auge blicket, Moor und Heide nur ringsum. Vogelsang uns nicht erquicket. Eichen stehen kahl und stumm. Wir sind die Moorsoldaten und ziehen mit dem Spaten ins Moor.“ Immer mehr der Zuschauer summen mit, der Refrain steigert sich. Beim letzten tönt es aus 900 Kehlen, auch aus denen der SS-Leute. Männer mit feuchten Augen singen: „Einmal werden froh wir sagen, Heimat du bist wieder mein!“
Langhoff wurde 1934 entlassen, emigrierte in die Schweiz und veröffentlichte dort das Lied und Bericht, der weltweit Beachtung fand als eine der ersten Augenzeugenschilderungen der Brutalität der Konzentrationslager.
Das Lied wird das Lied des antifaschistischen Widerstandes, nachdem Sänger Ernst Busch und Komponist Hans Eisler von der „Internationalen Brigade“ der Arbeiterschaft es auf Platte bannten. Und so zogen die Moorsoldaten mit ihrem Spaten in die Welt.
Infos unter www.greifswaldmoor.de; der nächste Termin ist am 13. März: „Krimis aus dem Moor“.