Menschen können ein Trauma auch ohne professionelle Begleitung verarbeiten: Darauf weist die Traumaforscherin Katalin Dohrmann hin. “In den ersten Wochen nach dem Ereignis ist eine Traumatherapie nicht hilfreich und kann die Belastung sogar verstärken”, sagte sie der “Welt” (Montag). Wenn Alpträume und belastende Erinnerungen nach sechs Monaten nicht abklängen, sei professionelle Hilfe sinnvoll.
Erfahrungen wie jene der jüngst freigelassenen Hamas-Geiseln gehörten “zu den schlimmsten Erfahrungen, die ein Mensch machen kann”, fügte Dohrmann hinzu. Gewalt, Unterversorgung und Ungewissheit könnten zu Posttraumatischen Belastungsstörungen, Depressionen, Angststörungen oder Suchterkrankungen führen. “Aber nicht alle Betroffenen leiden unter dauerhaften psychischen Folgen.”
Die Expertin verglich traumatische Erlebnisse mit Wunden. “Die Wunde kann sich entzünden, vielleicht eitert sie sogar. Das ist nicht schön. Aber die Haut wird heilen. Und das darf dauern, das darf auch wehtun – das ist Teil des Heilungsprozesses. Dasselbe gilt für psychische Wunden.”
Entscheidend für die Verarbeitung sei, wie viele traumatische Situationen ein Mensch schon vorher erlebt habe. Wer eine hohe Belastung aufweise, für den sei es schwerer, sagte Dohrmann. “Das gilt besonders für Menschen, die in ihrer Kindheit vernachlässigt wurden. Auch Traumata der Eltern oder Großeltern erhöhen das Risiko, eine psychische Erkrankung zu entwickeln.” Darüber hinaus spiele auch das Alter eine Rolle: Sehr junge und sehr alte Menschen täten sich mit der Verarbeitung oft besonders schwer.
Hilfreich sei in jedem Fall ein liebevolles Umfeld, fügte die Forscherin hinzu. “Das Wichtigste ist, den Menschen zuzugestehen, dass sie Zeit brauchen und dass es ihnen zunächst wahrscheinlich nicht gut geht.” So könnten sie schreckhaft sein, unter Erinnerungen und Alpträumen leiden. Angehörige oder Freunde sollten sie nicht auffordern, über das Erlebte zu sprechen, aber zuhören, wenn jemand von selbst erzähle.
Auch Kinder wüssten nach traumatischen Erfahrungen oft intuitiv, was sie bräuchten. “Es ist wichtig, dass die Familien der betroffenen Kinder auf deren Bedürfnisse nach Sicherheit, Nähe und Stabilität eingehen.” Eine ärztliche Abklärung sei dann geboten, wenn Angehörige unsicher seien, ob das Kind Symptome einer psychischen Erkrankung aufweise, so Dohrmann.